Runlandsaga - Sturm der Serephin
wahrnahm, war der hässliche drückende Klumpen in seinem Magen, der ihm das Atmen erschwerte, und Larians Stimme in seinen Ohren, die ihn wieder und wieder mit denselben Sätzen beschimpfte, als würde sie einen Kinderreim aufsagen.
Alles war schief gegangen. Seine großen Hoffnungen, als er im letzten Jahr endlich aus seiner Heimatstadt Tyrzar fortgegangen war, die Freude darüber, an einem völlig unbekannten Ort ein Leben aufzubauen, das nicht im Schatten seiner Familie stand, das Gefühl von Freiheit, das er empfunden hatte, als er im letzten Jahr kurz vor dem Fest der Wintersonnwende in Andostaan angekommen war – all dies war fort und entschwunden, zerronnen wie Sand durch ein Sieb.
Nasses Haar hing ihm ins Gesicht. Seine Schritte hallten laut durch die leeren Straßen. Er lief weiter vor sich hin, und wütende Gedanken hämmerten im selben steten Takt auf ihn ein.
Wie konnte Larian ihm nur vorwerfen, er wäre für seinen Vater eine Enttäuschung gewesen! Sein Vater hatte ihm nie einen Vorwurf gemacht! Er hatte ihn gehen lassen, weil er gewusst hatte, dass junge Leute in seinem Alter sich ihre Welt selbst erobern müssen. Er hatte nicht versucht, ihn in Tyrzar zu halten und ihn zu einem Kaufmann wie ihn selbst zu machen. Sein Vater hatte ihm den Handel mit Fellen beigebracht, aber als Enris ihm von seinem Wunsch erzählt hatte, Runland kennen lernen zu wollen, hatte er ihm ohne lange zu zögern einen Platz auf einem der Schiffe besorgt, das seine Waren hoch aus dem Norden nach Haldor brachte.
Wenn nur nicht dieser verdammte Brief gewesen wäre! Sein Vater hatte jemanden in Andostaan gekannt, einen alten Freund aus seiner Jugendzeit. Er hatte Enris geraten, ihn nach seiner Ankunft in Felgar aufzusuchen.
Anfangs hatte Enris das nicht geplant gehabt. Er ahnte, dass in dem Brief eine Bitte seines Vaters stehen würde, seinem Sohn mit einer Arbeit unter die Arme zu greifen, aber er wollte nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein. Er würde sich selbst durchschlagen, ohne auf gute Beziehungen seiner Familie zurückzugreifen.
Nach einigen Tagen jedoch waren seine Ersparnisse in Andostaan zu Ende gegangen. Er hatte auf seiner langen Reise über die Monate hinweg davon gelebt, und nun war diese Quelle versiegt. Seine erste Freude über die neue Welt um ihn herum war einem nagenden Gefühl von Heimweh gewichen, das sich mit jedem Tag vergrößerte, an dem er den letzten Rest des Geldes in seinem Lederbeutel betrachtete. Es sah nicht so aus, als ob er bald eine Arbeit finden würde. Die Menschen in Andostaan waren nicht besser oder schlechter als anderswo in Runland, aber wie die meisten Bewohner entlegener Orte misstrauten sie Fremden zunächst und brauchten einige Zeit, um ihnen mit derselben Herzlichkeit zu begegnen wie ihren Landsleuten. In kurzer Zeit als völlig Fremder eine Arbeit in Andostaan zu finden, war schier unmöglich, wie Enris herausfand. Nach einigen vergeblichen Versuchen, bei einem der Händler im Hafen angestellt zu werden, hatte er schließlich seinem Stolz nachgegeben und war mit dem Brief seines Vaters in der Hand zu Larian gegangen.
Der Kaufmann hatte ihn sofort in seinem Haus aufgenommen. Er ließ ihn gegen freie Kost und ein Dach über dem Kopf Schreibarbeiten für seine Geschäfte erledigen. Wenn Enris seine Aufgaben gut erfüllte, bekam er noch etwas Geld dazu. Aber schon nach kurzer Zeit war dem jungen Mann aufgefallen, dass seine verschwundene Freude darüber, von zu Hause fort zu sein, nicht wiederkehrte, nun, da er in Andostaan eine Arbeit gefunden hatte. Sie blieb verschwunden, und er behielt nur eine blasse Erinnerung in seinen Gedanken zurück, wie an eine Liebe im Frühling, an die man während kalter Tage im Spätherbst denkt, wenn man über leere Felder blickt.
So war der Winter über Felgar hereingebrochen. Enris arbeitete in Larians Lagerhaus im Hafen. In dem kalten, zugigen Gebäude, das nie richtig warm zu werden schien, egal wie stark man das Feuer im Kamin schürte, bei trübem Licht über Listen von Frachtgut gebeugt, erkannte er schließlich, dass er so nicht mehr weitermachen konnte. Er war einfach kein Kaufmann, kein Händler wie sein Vater oder Larian. Seine Augen schmerzten ihm vom Starren auf die Zahlen. Er ertappte seinen Geist dabei, wie er sich wieder und wieder davonstahl, um von fernen Orten zu träumen, die er sehen wollte, von Abenteuern, die es zu bestehen galt, und von Geheimnissen in alten Geschichten und Sagen, die nur darauf warteten, dass jemand wie
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