Runlandsaga - Sturm der Serephin
gekommen war, hatte jemand auf einen alten Mann in einer braunen Tunika gezeigt und gesagt: »Das ist Margon, der Magier. Früher war er ein berühmter Harfenspieler. Er wohnt mit seiner Frau in der Meeresburg.«
In diesem Augenblick war ihm klar geworden, dass der Mann mit dem ergrauten Haar, der in einer Ecke der Halle stand und die tanzenden jungen Menschen beobachtete, während er sich ein Stück Nusskuchen abschnitt, der Margon war, von dem ihm der Fremde in Tyrzar erzählt hatte.
Enris richtete sich wieder auf und rieb sich die Schläfen. Doch das war nicht alles gewesen, oder? Der seltsame Alte damals hatte ihm doch nicht bloß eine Geschichte erzählt. Als Enris ihm zugehört hatte, war ihm gewesen, als hätte er alle Ereignisse durch die Augen von Margon, dem Harfner, erlebt. Es war wie ... nun, wie Magie gewesen! Dieser namenlose Fremde hatte ihn mit seinen Worten regelrecht in eine andere Welt entführt.
Doch am nächsten Tag war er an Bord der Shintar gegangen und hatte das, was sich ereignet hatte, zu den anderen verblassten Erinnerungen seiner Vergangenheit gelegt, weil es zu unglaublich und fantastisch gewesen war. Ein Teil von ihm hatte sich in dem Augenblick, als er Margon in der Halle des Rates zum ersten Mal gesehen hatte, sogar geweigert zuzugeben, dass jene Begegnung mit dem unbekannten alten Mann jemals so stattgefunden hatte, wie er sich daran erinnerte.
Aber es war wirklich passiert! Er hatte eine Geschichte erzählt bekommen, deren Magie ihn an den Gedanken und Gefühlen der Menschen hatte teilhaben lassen, die darin eine Rolle gespielt hatten. Er wusste, dass er es sich nicht einredete. Enris kannte Margon, obwohl er bis zu diesem Tag niemals mit ihm gesprochen hatte. Er kannte ihn besser als dieser fettleibige Kaufmann, für den der Magier in Carn Taar nur ein alter Wirrkopf war. Larian hatte kein Recht, so über einen Mann zu sprechen, der ein berühmter Harfenspieler gewesen war und der vor vielen Jahren zusammen mit einigen anderen ein Wesen bekämpft hatte, das ganz Runland ins Verderben gestürzt hätte, wenn sich ihm nicht einige Mutige entgegengestellt hätten! Dieser Margon war verdammt noch mal ein Held, und Enris wünschte, er wäre damals mit dabei gewesen!
Ay, ein schöner Gedanke , höhnte eine andere Stimme in ihm. Aber du warst damals nicht dabei. Und wer weiß, ob du überhaupt den Mut besessen hättest, einem derartigen Grauen ins Gesicht zu blicken. Wahrscheinlich wärst du eher fortgelaufen, so wie jetzt. Letztendlich rennst du immer weg. Aus Tyzar bist du geflohen, und hier hast du es heute wieder getan. Wie soll es jetzt weitergehen? Du hast gerade dein Auskommen und das Dach über deinem Kopf in den Wind geschossen. Wo wirst du heute Nacht bleiben, und wovon willst du leben?
»Wen haben wir denn da?«
Eine Stimme in nächster Nähe riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte sich um. Niemand war zu sehen. Der Regen prasselte immer noch herab, als ob sich sämtliche Schleusen des Himmels geöffnet hätten. Dann hörte Enris das Geräusch mehrerer Füße und lautes Lachen von verschiedenen Leuten, die nur ein paar Schritte von ihm entfernt sein konnten.
»Lasst mich in Ruhe!«
Die letztere Stimme war die eines Kindes.
Er trat an die Wand des Lagerhauses zu seiner Rechten, vor dem er Halt gemacht hatte. Als er um die Ecke spähte, sah er mehrere Fuß von sich entfernt vier Männer in der Nähe der Kaimauer stehen, die er nicht kannte. Drei von ihnen hatten ihre langen Haare auf Art der Seeleute im Nacken zu einem steifen Zopf zusammengebunden. Der Vierte trug sie offen, aber auch er war wie jemand gekleidet, der mehr an Bord eines Schiffes zu Hause war als auf festem Boden. Sie hatten einen Jungen umstellt. Enris wusste den Namen des Kleinen nicht, war jedoch sicher, dass er ihn kannte. Es musste der Sohn von Arvid, dem Gastwirt, sein!
Der mit dem offenen Haar, ein hochgewachsener Kerl mit einem lang gezogenen Pferdegesicht, hatte den Jungen am Arm gepackt und sich zu ihm hinabgebeugt.
»Lasst mich!«, wiederholte der Kleine laut.
Der Mann holte mit der freien Hand aus. Das Klatschen, mit dem er dem Kind ins Gesicht schlug, hörte Enris selbst aus einigen Schritten Entfernung und gegen den Wind und das Rauschen des Regens. Er ging einen Schritt vorwärts, hielt dann aber mitten in der Bewegung inne. Dies waren bestimmt keine Leute, denen man mit der Wache drohen konnte.
Schnell wich er wieder hinter die Ecke des Lagerhauses zurück. Niemand hatte in seine
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