Runlandsaga - Sturm der Serephin
das nächste Schiff, das sie an Bord nimmt, den Hafen verlässt. Außerdem hat Themet ihnen alles gesagt, was er weiß. Ich glaube kaum, dass sie das Wagnis eingehen, noch einem Jungen aufzulauern, um von ihm dasselbe zu hören.«
Enris war sich bei weitem nicht so sicher, wie er sich gab. Er mochte noch nicht viele Sommer gesehen haben, aber für die Erkenntnis, dass sich Menschen wesentlich öfter unvernünftig und planlos als vorhersehbar verhielten, musste man kein lebenserfahrener Dorfältester sein. Aber er hoffte, dass seine Worte die Eltern des Jungen beruhigen würden – eine Hoffnung, die sich gleich wieder zerschlug, als Themet ihm ins Wort fiel.
»Aber – aber was ist, wenn sie mir nicht geglaubt haben? Vielleicht kommen sie mir noch mal hinterher!«
»Keine Sorge«, sagte Arvid und nahm seinen Sohn erneut in den Arm. »Hierher gelangen sie nicht so einfach, ohne von einem ganzen Haufen Gästen gesehen zu werden. Hier bist du sicher!«
Er blickte Enris an.
»Ich werde Tolvane aufsuchen. Er ist das Ratsmitglied, das am nächsten wohnt. Er wird die Wache in Bereitschaft versetzen, damit sie den Hafen durchsucht. Ich werde ihm auch sagen, dass sie vor den Anker und die Häuser von Velliarns Eltern und Mirkas Mutter Wachposten aufstellen sollen.«
»Das wird bestimmt das Beste sein«, pflichtete Rena ihm bei. Auf Enris wirkte sie nun schon etwas ruhiger. Sie legte den blutigen Lappen zurück in den Eimer.
»Und ich werde zur Festung hochgehen«, sagte Enris. »Jemand sollte Margon und Thaja Bescheid geben, dass diese Kerle nach dem Fremden bei ihnen suchen.« Er sprach nicht aus, dass er sich zugleich wünschte, den Magier wieder zu sehen. Was Margon wohl sagen würde, wenn er ihm davon berichtete, wie er den Jungen aus den Händen von vier Verbrechern befreit hatte? Ob er beeindruckt wäre?
Arvid verabschiedete sich von Rena und Themet, nicht ohne seinen Sohn nochmals fest an sich zu drücken. Enris schickte sich an, mit ihm zu gehen, aber Rena ließ ihn nicht fort.
»Bleibt noch einen Augenblick«, bat sie ihn. »Das Mindeste, was ich für Euch tun kann, ist, Euch zu bewirten, so gut es mir möglich ist. Ihr seid doch bestimmt hungrig, nicht wahr?«
Das musste Enris bejahen. Vor allem fühlte er sich immer noch sehr wackelig auf den Beinen. Den Gedanken, im Dunkeln, geschwächt und mit leerem Magen den Weg nach Carn Taar anzutreten, empfand er als nicht gerade angenehm. Er setzte sich neben Themet, der dabei war, ein paar Kartoffeln zu schälen, an den Küchentisch. Mari kam herein, um ein paar neue Essensplatten zu belegen und nach draußen zu tragen. Ehe er sich versah, war er ins Gespräch mit den beiden Frauen und dem Jungen vertieft.
Für einen kurzen Augenblick durchzuckte ihn der Gedanke an Larian und seinen Streit mit ihm. Ob der Kaufmann wohl erwartete, dass er mit eingezogenem Schwanz zu ihm zurückkehren würde? Ob er sich Sorgen um den Sohn seines Freundes machte, wenn dieser nicht mehr auftauchte? Und wo sollte Enris die Nacht verbringen, wenn er tatsächlich nicht wieder in Larians Haus zurückkehrte?
Doch dann stellte Rena eine Schüssel mit heiß dampfendem Eintopf auf den Tisch, und seine Grübelei wurde von den ersten Bissen, die er zu sich nahm, ebenso vertrieben wie die Kälte seiner durchnässten Haut, die in der Wärme der Küche dahinschwand.
7
Der südlichste Pier des Hafenbeckens erstreckte sich vor Daniro in der Dämmerung wie ein langes, braunes Band, das allmählich mit der tieferen Dunkelheit des ihn umgebenden Wassers verschwamm. Die Sonne war eben für eine weitere Nacht in den Wellen des westlichen Horizonts versunken. Der Himmel hatte sich noch nicht völlig verdunkelt, und die Laterne am Ende des Anlegers, der mit der Hafenmauer abschloss, war noch nicht angezündet worden. Im schwindenden Tageslicht wäre Daniro beim Hinabsteigen der in die Mauer eingelassenen Treppenstufen um ein Haar danebengetreten. Mit einem gemurmelten Fluch sprang er auf den schmalen Steinweg und ging ihn entlang.
Der Regen hatte aufgehört, aber es wehte noch immer ein kalter Abendwind vom Meer herein, der ihn frösteln ließ. Unwillkürlich zog er den Kopf ein, doch es änderte nichts daran, dass er fror. Fast die Hälfte seiner über dreißig Lebensjahre hatte er auf See verbracht, aber selbst geringe Kälte fuhr ihm nach all der Zeit noch immer unangenehm in die Knochen, ohne dass er jemals irgendeine Abhärtung gegen sie erfahren hätte. Er schnaubte unwillig. Wenigstens hatte
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