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Runlandsaga - Sturm der Serephin

Runlandsaga - Sturm der Serephin

Titel: Runlandsaga - Sturm der Serephin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Gates
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Sinne, wie es kein eisiges Bad vermocht hätte.
    Einer jener unvermittelten Windstöße, die einen hier oben an der Grenze zwischen Land und Meer selbst an ruhigen Tagen immer wieder so plötzlich heimsuchten wie Wegelagerer, traf ihn in den Rücken und stieß ihn einen Schritt nach vorne. Die Spitzen seiner schweren Stiefel rutschten über den Rand des Felsens. Er schwankte für einen Moment über dem Abgrund, den Blick auf die graue See tief unter ihm gerichtet. Dann fanden seine Beine zurück auf festen Grund. Der Wind um ihn ebbte allmählich ab. Er fuhr sich durch die dunklen Haare, die ihm ins Gesicht geweht worden waren. Mit selbstsicherem Lächeln sah er in die Ferne.
    Noch vor einem Jahr wäre er niemals so nahe an den Rand einer Klippe getreten. Vor einem Jahr wäre ihm in einem Augenblick wie diesem kalter Schweiß ausgebrochen, sein Herz hätte in Todesangst gehämmert, und er hätte noch lange danach den Weg in die Tiefe vor Augen gehabt, einen schmalen Tunnel, verführerisch und kalt wie die See an seinem Ende.
    Aber nicht heute.
    Heute hatten sich alle diese Gefühle verflüchtigt wie Nebel in der Wärme einer aufgehenden Sonne. Selbst die Erinnerung daran, dass er einmal solche Empfindungen wie Angst oder gar Panik verspürt haben mochte, war seltsam blass und durchscheinend geworden, als hätte sie sich ebenfalls in Nebel verwandelt, den die Helligkeit eines neuen Tages zerstreute.
    Der Mensch, der er einst gewesen war, der den Tod gefürchtet hatte, war inzwischen gestorben. An seine Stelle war dieses größere Etwas getreten, das ihn erfüllte wie ein glühender Ball aus Feuer. Anfangs hatte die brennende Macht ihn geschmerzt. Sie hatte sich durch seine Eingeweide gewühlt, bis er geglaubt hatte, in seinem Bauch befände sich ein löchriger Schmelztiegel, der flüssiges Blei in ihn entließ. Er hatte sich auf dem Boden gewälzt wie ein Tier und geschrien vor Schmerzen, so lange, bis seine Stimme heiser geworden war und seine Ohren nicht mehr glauben konnten, dass er selbst es war, der da so schrie. Das konnte unmöglich er sein, dieses unmenschlich heulende Etwas, das sich weiter und weiter von ihm entfernte – entfremdete. Nein, niemals.
    Dann war Stille eingetreten. Stille, schwer wie der Tod.
    Er konnte nicht sagen, wie lange das dunkle Schweigen angedauert hatte, doch irgendwann war ihm sein eigener Körper wieder bewusst geworden. Er hatte das Leben, das durch seine Adern rauschte, wieder dicht unter der Haut gefühlt.
    Aber es war nicht das Leben, das er zuvor gekannt hatte.
    Diese neue Kraft, die ihn durchströmte, war fremdartig und wild. Sie brannte in ihm und aus ihm heraus, als hätte man ihn mit Öl übergossen und angezündet, doch alle Gedanken an Schmerz waren verschwunden. Er wusste nicht, was mit ihm geschehen war, aber er besaß die Gewissheit: Es war etwas Gewaltiges.
    Er war in T‘lar aufgewachsen. Seine Eltern hatten den Wunsch gehegt, einen ihrer Söhne bei den Priestern des Sommerkönigs in die Lehre zu schicken, und die Wahl war auf ihn gefallen, den Jüngsten, dessen Anspruch auf sein Erbe von allen vieren am geringsten gewesen war. Jahrelang hatte er die Schriften des Ordens studiert und die Übungen vollzogen, die sein Mentor ihn gelehrt hatte.
    Doch dieses Dasein mit seinen Träumen und Hoffnungen, die den jungen Novizen vorangetrieben hatten, war fort, herausgebrannt durch die feurige Gewalt, die sich in seinem Inneren entzündet hatte, nicht als Fremdkörper, sondern als eigentlicher Kern seines Wesens, der immer schon da gewesen war, jedoch verborgen, verdeckt von schmutzigen Fetzen eines Namens, eines Titels, einer Herkunft. Alles Dinge von außen, die er niemals selbst hatte wählen können, die ihm vorgegeben worden waren und die er sein ganzes Leben hindurch mit sich herumgeschleppt hatte.
    Aber das war vorbei. Seine Augen standen weit offen.
    Es schien ihm, als sei er aus einem fürchterlichen Traum erwacht, einem Traum, in dem er einer der Sterblichen gewesen war, ein Temari. Der verabscheuungswürdige Gedanke, das Leben dieser Eintagsfliegen geteilt zu haben, war die einzige Empfindung, die sein Hochgefühl störte, jene wilde Freude darüber, endlich seine Bestimmung gefunden zu haben.
    Immer noch lächelnd hob er den Arm und spreizte die Finger der linken Hand.
    Ay, dies waren die Gliedmaßen eines Menschen, kein Zweifel. Sie mochten lachhaft und unvollkommen sein, so zerbrechlich wie dürres Holz im Vergleich zu seinem wahren Körper, doch im Augenblick

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