Runlandsaga - Sturm der Serephin
weniger, als er vermutet hatte, aber es fühlte sich dennoch hart an. Er fuhr mit der Kuppe des rechten Zeigefingers über die Spitze und drückte kurz darauf. Ein Tropfen Blut quoll aus der Wunde hervor und lief über das Metall, dunkler als dessen rötlicher Schimmer.
»Was machst du denn da?«, fragte Thaja.
Enris betrachtete das Blut auf seiner Haut und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander, um es zu verschmieren.
»Ist da, wo ich herkomme, ein alter Aberglaube. Der Spieß hat mich verfehlt. Jetzt hat er doch noch etwas von meinem Blut bekommen, damit der Tod nicht verärgert ist, weil er mich heute nicht angetroffen hat.«
Um Thajas Mund spielte ein Lächeln.
»Ich kenne diesen Aberglauben auch. Meine Mutter teilte ihn nicht. Sie pflegte über den Tod zu sagen: Wenn du ihn heute nicht angetroffen hast, dann hat er heute auch nicht auf dich gewartet.«
Enris ließ den Spieß laut polternd zu Boden fallen, während Margon vor den Elfen trat, der sich bereits wieder den Steinplatten vor dem Tor zuwenden wollte.
»Erzählt uns endlich, was hier eigentlich vorgeht!«, forderte er.
Arcad seufzte.
»Gut, ich werde euch sagen, was ich weiß«, erwiderte er. »Vorher lasst ihr mich ja doch nicht in Ruhe einen Weg durch dieses Tor finden. Aber nicht hier unten. Was ich euch zu erzählen habe, ist eine Angelegenheit, die nach Tageslicht verlangt. Außerdem ist es eine lange Geschichte.«
Sie kehrten gemeinsam durch den Geheimgang zurück in den Keller und stiegen nacheinander die Leiter in die Schwarze Nadel hinauf. Margon und Thaja stießen ihre Fackeln in ein mit Sand gefülltes Fass am Eingang des Turms, um sie zu löschen.
»Lasst uns in unser Zimmer hinaufgehen«, schlug der Magier vor. »Wenn das, was Ihr uns zu berichten habt, tatsächlich länger dauert, dann kann es nicht schaden, etwas zu essen und zu trinken in der Nähe zu haben.«
Arcad blickte zu Boden. Seine Stimme klang nach all seiner Erregung, als er von den Dreien in der Höhle unter der Festung entdeckt worden war, nun nur noch erschöpft und bitter.
»Ich bezweifle, dass ihr Lust auf etwas zu Essen haben werdet, wenn ihr erfahren habt, was ihr von mir hören wollt.«
Er hob den Kopf und sah sie der Reihe nach an.
»Manchmal ist es sehr viel besser, nichts zu wissen. Wenn es eine Weisheit gibt, die wir Endarin euch Temari zu geben haben, dann ist es diese, und glaubt mir, wir haben sie im Lauf der Jahrhunderte erfahren bis zum Überdruss. Ihr könntet es dabei bewenden lassen, mich dort unten gefunden zu haben. Ich gehe einfach wieder hinunter, und ihr lasst mich tun, was ich zu tun habe.«
Margon schüttelte wortlos den Kopf. Es war sinnlos, darüber noch lange Worte zu verlieren. Er wusste, dass Arcad dies ebenfalls klar war. Sie würden ihn nicht ohne Antworten wieder in die Höhlen hinabsteigen lassen.
Der Elf seufzte. »Nun gut. So sei es denn. Aber sagt hinterher nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.«
Nach diesen Worten schwieg Arcad. Er begann erst wieder zu sprechen, als sie alle sich in Margons und Thajas Zimmer befanden und die drei ihm gegenüber Platz genommen hatten, um zu hören, was er ihnen mitzuteilen hatte.
Erinnerungen
Es ist von den Weisen gesagt worden, dass das, was Oben besteht, auch Unten zu finden ist. So wie die anfängliche Leere sich selbst im unermesslichen Abgrund betrachten wollte und das Auge der Schöpfung sich öffnete, so spiegelt sich das Ringen der beiden Drachen von Chaos und Ordnung auch unterhalb des Abgrundes wieder, der die Welt der Urmächte von den Welten der Form aus Cyrandiths Traum trennt.
Alles, was lebt, ist dem Kampf zwischen Ordnung und Chaos unterworfen. Es sind die Gegensätze, die in ihrem Aufeinanderprallen ein Drittes erschaffen, denn ein einziger Strom erschafft nichts Neues, sondern ergießt sich endlos in die Weite. Daher geschah es, dass einige der ersten Wesen, die von Cyrandith geträumt wurden, gemäß ihrer Neigungen mehr von der Kraft des Urdrachen des Chaos in sich besaßen, während wieder andere stärker von der Kraft des Urdrachens der Ordnung erfüllt waren. So rangen sie, die unterhalb des trennenden Abgrundes in den sichtbaren und unsichtbaren Welten lebten, bald ebenso miteinander, wie es jenseits des Abyss die Urkräfte des Universums taten.
Es sind ihrer zwölf, die Cyrandith in der Dämmerung der Zeit träumte. Sechs von ihnen wurden als die Götter des Chaos bekannt, und sie sind die Ältesten, während jene sechs, die ihnen nachfolgten, die Götter der
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