Runlandsaga - Wolfzeit
erdrückt werden.
Er würde sterben.
Doch die endlosen Wassermassen schlugen nicht über ihm zusammen. Sie befanden sich noch immer in einem geschlossenen Raum. Wie aus weiter Ferne hörte er Neria hinter sich einen Aufschrei unterdrücken. Erst jetzt, auf den zweiten Blick, sah er schwache Lichtspiegelungen vor und über sich, die ihm verrieten, dass sie alle eine durchsichtige Kuppel von der Außenwelt abschnitt, einer Welt, die für jeden Landbewohner so lebensfeindlich und tödlich war wie das Innere eines Feuers. Direkt über ihm verlor das Wasser seine Dunkelheit und ging in ein helles Blau über. Irgendwo dort oben musste die Wasseroberfläche sein. Das wenige Licht innerhalb des Kuppelsaals rührte von dem milchig weiß schimmernden Boden her, auf dem sie standen.
Nun, da sich Enris’ erster Schreck legte, sah er sich um, und entdeckte sofort die anderen Gestalten in seiner Nähe. Zwei waren auf den ersten Blick an ihren glatten, pechschwarzen Haaren und ihrer bleichen Haut als Antara zu erkennen. Die zwischen ihnen stehende dritte Gestalt unterschied sich von den beiden sowohl durch Aussehen als auch Kleidung. Im Gegensatz zu den Dunkelelfen trug sie keine Rüstung aus blau gefärbtem Leder, sondern wie Jahanila eine rote Robe. Auch sah ihr echsenartiges Gesicht mit seiner schuppigen Haut der Serephinfrau ähnlich, ging aber etwas mehr in die Länge. Auch die Reihe von Hornzacken, die sich von ihrer Stirn bis zum Nacken zog, war länger und spitzer. Die goldgelben Augen des Wesens blitzten ihn aufmerksam und durchdringend an. Dies musste der Serephin sein, von dem die andere seiner Art gesprochen hatte. Nun, wenigstens sah es dank der beiden Antarawachen nicht so aus, als ob er sich gleich auf Neria oder ihn stürzen würde. Er blickte sich weiter um.
Die Angeklagten sind alle versammelt, aber wo sind ihre Ankläger? Und wo die Richter?
Auf einem Podest vor ihnen standen in einer Reihe fünf schwarze Blöcke, deren Form und Größe an Sarkophage in einer Gruft erinnerten. Enris hatte sofort den Gedanken, dass das Material Tindar war, jenes geheimnisvolle Gestein, das ein fallendes Gestirn nach Runland gebracht hatte, und das die alten Endarin für ihre magischen Zwecke benutzt hatten.
Als ob jemand seine Gedanken gelesen hätte, begann von den Blöcken weißer Rauch aufzusteigen. Für wenige Augenblicke sah es so aus, als ob ihre steinernen Oberflächen erhitzt und mit kaltem Wasser übergossen worden wären, das nun als heißer Dampf über ihnen schwebte. Doch der Eindruck hielt nicht lange an. Der Rauch zog sich immer dichter zusammen, bis er die durchscheinende Form einer menschenähnlichen Gestalt annahm.
»Wir sind die Ainsarii« , erklang eine leise, aber durchdringende Stimme im Raum, die von der schwebenden Gestalt über den schwarzen Sarkophagen ausging. Sie hörte sich nicht wie eine einzelne Stimme an, sondern wie die von mehreren, die so geübt darin waren, im Chor zu sprechen, dass sie sich auf unheimliche Weise beinahe wie ein einziges Wesen anhörten.
»Ihr steht vor den Herren von Eilond, Fremde. Ihr seid durch das Quelor in unsere Zuflucht eingedrungen. Damit habt ihr die Aufmerksamkeit jener, die uns vernichten wollen, auf Eilond gelenkt und unseren Frieden gestört. Erklärt euer Tun und erwartet unser Urteil!«
»Ich werde mit ihnen sprechen«, murmelte Jahanila mit einem Seitenblick zu Enris, noch bevor dieser etwas erwidern konnte. »Hört mich an, Herren von Eilond«, fuhr sie mit lauter Stimme fort. »Ich bin Jahanila aus dem Haus des Berjasar in der Stadt Gotharnar von Vovinadhar.« Sie hob ihre rechte Hand und zeigte den Gegenstand, den sie hielt. »Ich war es, die mit diesem Leitkristall das Quelor zu eurer Zuflucht öffnete und uns nach Eilond brachte. Diese beiden Temari hier«, sie wies auf Enris und Neria, »haben eine lange Reise voller Mühen und Gefahren auf sich genommen, um zu euch sprechen zu können. Sie erbitten eure Hilfe. Den Anführern der vier Städte von Vovinadhar ist es nach langer Zeit gelungen, die verborgene Welt der Temari zu finden und eine Bresche in den Schutzwall zu schlagen. Es ist ihr Plan, Runland zu zerstören und damit auch die Temari auszulöschen. Wenn ihnen das gelingt, ist das Blut des Schmetterers verloren und Olárans Plan gescheitert. Die Herren des Chaos werden niemals aus ihrer Verbannung zurückkehren, und das Alte Gleichgewicht wird für immer zerstört sein.«
»Glaube nicht, wir wüssten nicht, was in Runland vorgeht, nur weil
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