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Solidarität
Der Druck der Gruppe auf den Einzelnen ist enorm gestiegen – und die Gruppe sind die „lieben Kollegen“. Diese indirekte Steuerung führt dazu, dass Mitarbeiter Regelungen unterlaufen, die eigentlich in ihrem Interesse sind: Ihre „verschenkte Zeit“ mit Freizeit auszugleichen, zum Beispiel. Wer das macht, wird möglicherweise zum „Kollegenschwein“ gestempelt – andere müssen „seine Arbeit“ erledigen, während er abwesend ist.
7. Sinn- und Orientierungslosigkeit
Man investiert Lebenszeit, riskiert den Verlust privater Beziehungen und bekommt – Vagheit und Unverbindlichkeit. Individuelle Leistung wird von Vorgesetzten kaum erkannt und gefördert. Schmidt denkt unternehmerisch, identifiziert sich mit dem Unternehmen, obwohl er kein Unternehmer ist. Er übernimmt womöglich die Verantwortung, die kaskadenartig von den ihm vorgesetzten Managern angespült wird, obwohl das nicht sein Verantwortungsbereich ist. Wir erinnern uns, das System entlastet die Entscheider von Verantwortung. Der Mitarbeiter engagiert sich mit Leib und Seele, übernimmt Eigenverantwortung, indem er sich weiterbildet, bis eines Tages sein Einsatz nicht mehr gebraucht wird. Seine Loyalität ist nicht mehr gefragt und mit der seines Arbeitgebers war aufgrund des neuen psychologischen Vertrags sowieso nicht zu rechnen, aber gehofft hat er doch darauf. Das alles ergibt keinen Sinn. Sinnlosigkeit wird gefühlt.
Von einem Moment auf den anderen ist der Mitarbeiter, der immer „vernünftig“ dachte und handelte, mit einem Cocktail von Gefühlen konfrontiert: Wut, Frustration, Existenzangst, Orientierungslosigkeit, Kontrollverlust.
Ein Klient erzählt: „Du teilst Tag für Tag den Alltag mit den Kollegen, und zwar jahrelang. Du fängst an, sie für deine Familie zu halten. Die wissen, wann du Krach hast mit der Schwiegermutter, welche Musik du gerne hörst, und wie hoch die Raten fürs Haus sind. Und dann, von einem Tag auf den anderen, bist du draußen. Du denkst, na der und der, die werden bestimmt mal anrufen und hören, wie es dir geht. Aber nichts. Die rufen nicht an. Inzwischen habe ich gelernt, Kollegen sind keine Freunde. Aber wer hält noch zu einem, wenn man jahrelang keine Zeit hatte für Freundschaften?“
Für diesen Klienten war die plötzliche Isolation nach dem Arbeitsplatzverlust so schlimm, dass er jeden Tag in eine Stadtbibliothek ging, um das Gefühl zu haben, „unter Menschen“ zu sein.
Tipp
An der „gefühlten Arbeitswirklichkeit“ hängt mehr, als wir uns bewusst machen. Der moderne Mensch und besonders der moderne Mann identifiziert sich mit dem Beruf. Ist der Beruf weg, ist das Selbst, für einen Moment jedenfalls, auf Tauchstation.
8. Unsicherheit, als Mann, als Frau
Wenn hier meistens die Rede war von Herrn Schmidt, ist das kein Zufall. Wir haben eine Norm-Karriere und Norm-Arbeitsverhältnisse betrachtet, und diese Norm wird nach wie vor von männlichen Berufstätigen verkörpert.
Es ist ein alter Hut, dass wir bestimmte Klischeevorstellungen haben von dem, was männlich ist und weiblich, also beispielsweise „Führung“ als männlich ansehen und „Emotionalität“ als weiblich. Es kommt uns so vor, als ob das immer schon so gewesen sei und eben irgendwie „naturgewollt“. Aber wenn wir genau hinschauen, sehen wir, dass es auch Männer gibt, die nicht führen können und auch Frauen, die kaum emotional sind. Solche Auffassungen von „Natur“ dienten als Rechtfertigung für die bürgerliche Gesellschaftsordnung und sind bis heute in manchen Hinterköpfen.
In Bezug auf Männer und Frauen im Berufsleben hat die Normierungs-Maschine eine Unwucht, denn Chancengleichheit gibt es nicht. Ein Beispiel von vielen: In den USA ist im Mai 2010 ein Schweizer Pharmakonzern zu Wiedergutmachungen in Höhe von 3,36 Mio Dollar verurteilt worden: Die Jury des New Yorker Bundesbezirksgerichts fand, dass dort Frauen bei Beförderungen übergangen wurden, dass ihnen nicht der gleiche Lohn ausgezahlt und dass Schwangere benachteiligt wurden.
Auch hierzulande ist das so, nur klagt kaum jemand dagegen. Frauen verdienen bei gleicher Position bis zu 24 Prozent weniger als Männer. Männer arbeiten kaum in Teilzeit, gegenwärtig sind es zu 88,2 Prozent Frauen, die in schlecht bezahlten Teilzeitjobs arbeiten.
Männer, die in Elternzeit gehen, haben mit Repressalien zu rechnen, wenn sie wiederkommen. Ein Klient berichtet, nach kurzem Vaterschaftsurlaub habe er seinen Aufgabenbereich in der IT nicht
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