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Runterschalten

Runterschalten

Titel: Runterschalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Sponagel
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aufgebracht eine Klientin, der man gerade mehrmals die Vorfahrt genommen hatte. Die Antwort, dass sie mit ihrer Fahrweise vielleicht sicherer unterwegs war, tröstete sie nicht.
    Anette Wagner war beruflich oft im Auto unterwegs, hatte meistens Zeitdruck und kam aus dem Fluchen über unnötige Verkehrskomplikationen gar nicht mehr raus. Ihre Sichtweise, dass diese Situationen unnötig seien, mochte zutreffend sein, aber sie erschwerte ihr das Leben. Diese Sichtweise war „selbstgemachter Stress“. Ein Perspektivwechsel von „unnötig“ zu „dazugehörig“ war die Lösung, um diesen Stress loszuwerden, um aktiv auf eine gelassenere Wahrnehmung runterzuschalten. Aber der funktionierte nur, indem die Klientin sich selbst in einer neuen Rolle sah, nämlich in der einer Profi-Fahrerin. Jedes Mal, wenn sie sich an ihr Steuer setzte, war sie jetzt in ihrer Vorstellung eine Taxifahrerin. Sie verdiente ihr Geld mit dem Fahren – lohnte es sich da noch, sich über dreiste Verkehrsteilnehmer aufzuregen? Viel interessanter war es doch jetzt, die besten Routen zu kennen, gut im Fluss zu bleiben und Hindernissen früh auszuweichen. Es war wichtig, schwierige Situationen zu erkennen, bevor sie entstehen, wie man das macht, als Profifahrer. Wichtig war es, Spaß zu haben am Fahren, sich eins zu fühlen mit der Maschine, die man lenkt, und die eigene Aufmerksamkeit anders zu steuern.
    Der kleine Trick mit dem Perspektivwechsel hatte eine große Wirkung: Anette Wagner wurde immer ruhiger beim Fahren, schließlich sagte sie lachend, sie könne sich bestens entspannen dabei.
    Die Sache hat natürlich auch einen Haken: Der Steuermann ist nämlich verantwortlich für seine Sichtweise der Dinge, er hat die Wahl der Perspektive und damit wieder einmal jede Menge Verantwortung für das eigene Wohlergehen, die man vor dem Runterschalten eher nicht hat. Zudem ist er dafür zuständig, die eigenen Sichtweisen immer wieder zu überprüfen, zu schauen, ob das selbst gestrickte Sinngewebe noch stimmt und noch zukunftstauglich ist. Und außerdem legt das Prinzip der Perspektivität dem Steuermann nahe, den Blickwinkel auf neue Situationen in seine Betrachtung mit einzubeziehen. Erst mit dieser Fähigkeit kann er Neuland ansteuern, erst damit kann er unbekannten Gegebenheiten und Menschen begegnen. Und um Ihrer Frage zuvorzukommen: Die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel ist so gesehen die Voraussetzung für die oben erwähnte Einfühlung in andere Menschen. Mit beidem hat man es leichter als Schiffbrucherfahrener – ebenso wie mit der Aufgabe, das eigene Sinngeflecht zu weben. Halten wir also fest:
    Nur Ahnungslose kennen den Wert des Schiffbruchs nicht.
    Der Wert des Schiffbruchs kann für Sie sein: sich besser steuern zu können, eine neue Qualität in der Beziehung zu Ihren Mitmenschen zu entdecken, Situationen zutreffender einschätzen zu können, Schwierigkeiten besser meistern zu können, Ihren ganz eigenen Sinn des Lebens zu finden.
    Stopp – die Sinnfrage!
    Schiffbruch, innehalten inklusive Sinnfrage, dieses Szenario haben wir jetzt kennen gelernt. Der Eisberg oder Fels, auf den unser Schiff gekracht ist, war genau auf unserem Kurs, aber wir hatten kein Fernrohr dabei oder wollten dieses Hindernis nicht sehen. Vielleicht atmen Sie auf, wenn Ihnen so ein Eisberg noch nicht begegnet ist oder Sie die Kollision mit Bravour gemeistert haben. In diesem Fall dürfen Sie sich mit Recht schiffbruchkompetent nennen. Aber Entwarnung ist nicht in Sicht – der nächste Eisberg wartet schon, diesmal von innen.
    Die Sinnfrage kann sich nämlich auch ohne Schiffbruch im Laufe des Lebens stellen, leise und allmählich. Mit der Zeit wird sie immer lauter, wenn man sie nicht beachtet. Es gibt sogar Phasen im Leben, für die sie sozusagen vorhersehbar ist – so um die Vierzig vielleicht, bei manchen früher, bei anderen später.
    Ein Klient hatte eine bemerkenswerte Karriere bei einer Fluggesellschaft durchlaufen. Er war mit Ende dreißig ganz oben angekommen. Das Fliegen, das In-der-Luft-Sein, gehörte zu seinem Alltag, ebenso, dass er mehrere Wohnsitze hatte, zwischen denen er hin- und her jettete. Schnelligkeit im Entscheiden, im Handeln, im Multitasking, war für ihn die einzige Lebensform.
    „Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie träge alles wirkt, wenn man im Flugzeug bei 900 Stundenkilometern aus dem Fenster schaut“, fragte er. Die Frage stand stellvertretend für all jene Fragen, die sich ihm immer vernehmlicher stellten: Ist die ganze

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