Rushdie, Salman
großbrüderlichem Ton.
«Du solltest jetzt wirklich lieber nach Hause gehen.»
«Deine
Mutter wird sich schon Sorgen machen», sagte Bär der Hund.
Luka hatte
sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass die Tiere sprechen konnten. «Ehe ich
gehe, will ich eine Antwort», beharrte er.
Nobodaddy
nickte bedächtig, als wäre eine Unterhaltung, die er mit einem Unsichtbaren
geführt hatte, gerade zu Ende gegangen. «So viel kann ich jedenfalls verraten»,
sagte er. «Wenn ich meine Arbeit erledigt und dein Vater to... ach was, ist ja
auch egal, also, wenn ich von ihm aufgenommen habe, was ich eben von ihm
aufnehme», fügte er hastig hinzu, als er Lukas Miene sah, «dann werde ich ...
jawohl, ich selbst... implodieren. Ich werde in mich selbst zusammenfallen und
einfach aufhören zu existieren.»
Verblüfft
sah Luka ihn an. «Sie? Sie sind derjenige, der sterben wird?»
«Der nicht
länger existieren wird», berichtigte ihn Nobodaddy. «So wird es korrekterweise
genannt. Und da ich deine dritte Frage zuerst beantwortet habe, will ich noch
hinzufügen, dass mich erstens niemand geschickt, aber irgendwer gerufen hat,
und dass ich zweitens, genau genommen, nicht irgendwoher komme, sondern von irgend- wem. Und wenn
du auch nur einen Moment nachdenkst, wirst du wissen, wer mit diesem Irgendwer
und Irgend-wem gemeint ist, vor allem, da es sich dabei nicht um ein und
dieselbe Person handelt, ich den beiden aber, die nur einer sind, wie aus dem
Gesicht geschnitten bin.»
Während
die silberne Sonne im Osten stetig heller leuchtete, wurden Hund und Bär immer
unruhiger. Für Luka war es höchste Zeit, sich für die Schule fertig zu machen.
Soraya geriet vor lauter Sorge bestimmt schon außer sich. Sicher hatte sie
längst Harun losgeschickt, um in den angrenzenden Straßen nach ihm zu suchen,
und wenn Luka zum Frühstück nach Hause kam, steckte er in neunzehn
verschiedenen Schwierigkeiten. Doch Luka dachte nicht an Frühstück und nicht an
Schule. Jetzt war weder die Zeit für Cornflakes noch für Rattenschiet oder
Geographie. Er dachte an Dinge, über die er in seinem Leben bislang kaum
nachgedacht hatte. Er dachte an das Leben und an den To... na ja, an die
Nichtexistenz. Dieses gewisse, unvollständige Wort konnte er immer noch nicht
aussprechen.
«Und das
Lebensfeuer rettet meinen Vater», sagte er.
«Wenn du
es für ihn stehlen kannst», pflichtete ihm Nobodaddy bei, «dann kann es das,
ganz bestimmt.»
«Und es
wird Hund und Bär ihre richtige Gestalt wiedergeben.»
«Das wird
es.»
«Und was
geschieht dann mit Ihnen? Wenn wir Erfolg haben?»
Nobodaddy
gab keine Antwort.
«Dann
werden Sie nicht implodieren, oder? Sie werden nicht nicht existieren.»
«Stimmt»,
sagte Nobodaddy. «Dann wäre meine Zeit noch nicht gekommen.»
«Und Sie
würden fortgehen.»
«Ja.»
«Sie
würden fortgehen und nie wiederkommen.»
«Nun, nie ist
ziemlich weit gefasst», erwiderte Nobodaddy.
«Na gut
... aber Sie kommen zumindest lange Zeit nicht wieder.»
Nobodaddy
senkte zustimmend den Kopf.
«Sehr,
sehr lange nicht mehr», beharrte Luka.
Nobodaddy
schürzte die Lippen und gab sich mit ausgebreiteten Armen geschlagen.
«Sehr,
sehr, sehr lange ...»
«Strapazier
dein Glück nicht allzu sehr», fiel ihm Nobodaddy scharf ins Wort.
«Und
deshalb versuchen Sie, uns zu helfen, nicht?», folgerte Luka. «Weil Sie nicht
implodieren wollen. Sie versuchen, Ihre eigene Haut zu retten.»
«Ich habe
keine Haut», sagte Nobodaddy. «Ich trau ihm nicht», sagte Bär der Hund. «Ich
mag ihn nicht», sagte Hund der Bär. «Ich glaub ihm kein Wort», sagte Bär der
Hund. «Und ich glaub keine Sekunde lang, dass er einfach gehen wird», sagte
Hund der Bär.
«Das ist
ein Trick», sagte Bär der Hund.
«Eine
Falle», sagte Hund der Bär.
«Die Sache
hat einen Haken», sagte Bär der Hund.
«Sie muss
einen Haken haben», sagte Hund der Bär.
«Frag
ihn», sagte Bär der Hund.
Nobodaddy
nahm den Panamahut ab, kratzte sich die Glatze, senkte den Blick und seufzte.
«Ja»,
gestand er. «Es gibt da einen Haken.»
*
Genau
genommen gab es zwei Haken. Laut Nobodaddy war der erste Haken, dass noch
niemand in der gesamten bekannten Geschichte der Magie jemals erfolgreich das
Lebensfeuer gestohlen hatte, da es, wiederum laut Nobodaddy,
auf derart vielfältige Weise geschützt wurde, dass keine Zeit blieb, auch nur
ein Zehntel dieser Schutzmaßnahmen aufzulisten. Die Gefahren waren nahezu
unendlich, die Risiken schwindelerregend,
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