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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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kümmerten, waren wegen ihres
launischen Temperaments gefürchtet, redeten unflätig daher und rempelten Leute
auf den Bürgersteigen an, weshalb Raschid Khalifa zu sagen pflegte, der Alte
vom Fluss habe sie verflucht und so gefährlich und verdorben wie den Fluss
selbst gemacht. Die Einwohner von Kahani beachteten den Fluss möglichst gar
nicht, doch Luka sah sich plötzlich vor dem linken, also südlichen Bund stehen
und fragte sich, wie er dahin gekommen war, ohne einen Muskel zu bewegen. Hund
der Bär und Bär der Hund standen mit ebenso verwirrten Mienen direkt neben
ihm, und Nobodaddy war natürlich auch da und grinste sein geheimnisvolles Grinsen,
das genau wie Raschid Khalifas Grinsen aussah, es aber nicht war.
    «Was
machen wir hier?», wollte Luka wissen.
    «Dein
Wunsch war mir Befehl», antwortete Nobodaddy und verschränkte die Arme vor der
Brust. « hast du gesagt, also ging's los. Shazam!»
    «Als wäre
er ein Dschinn, der Geist aus einer Lampe», schnaubte Hund der Bär verächtlich
mit Haruns Stimme. «Und als wüssten wir nicht, dass die echte Wunderlampe Prinz
Aladdin und seiner Prinzessin Badrulbudur gehört, weshalb sie gar nicht hier
sein kann.»
    «Ahm»,
sagte Bär der Hund, der eher zu denen gehörte, die leise sprachen und die
Dinge von ihrer praktischen Seite betrachteten. «Wie viele Wünsche stehen uns
frei? Und darf sich jeder was wünschen?»
    «Er ist
kein Dschinn», sagte Hund der Bär mit Bärenstimme. «Niemand hat irgendeine
Lampe gerieben.»
    Luka war
immer noch verwirrt. «Was wollen wir überhaupt an diesem Stinkefluss?», fragte
er. «Der fließt doch nur ins Meer, also kann er uns, ehrlich gesagt, auch nicht
von Nutzen sein, selbst wenn er nicht der Stinkefluss wäre, der er nun einmal
ist.»
    «Bist du
dir da sicher?», fragte Nobodaddy. «Willst du nicht lieber mal auf den Bund
steigen und nachsehen?»
    Also stieg
Luka auf den Bund, und Hund und Bär folgten ihm; als sie oben ankamen,
erwartete Nobodaddy sie bereits und wirkte so cool wie eine Cola mit Eis. Doch
im Augenblick interessierte sich Luka nicht dafür, wie Nobodaddy so schnell
auf den Bund gekommen war, denn sein Blick fiel auf etwas, das buchstäblich
nicht von dieser Welt zu sein schien. Da, wo sonst der stinkige Silsila
verlief, strömte ein völlig anderer Fluss dahin.
    Der neue
Fluss schimmerte im silbrigen Sonnenlicht, er blitzte wie Münzgeld, wie eine
Million zum Himmel emporgewandter Spiegel und schimmerte wie eine neue
Hoffnung. Und als Luka ins Wasser blickte und tausend und tausend und tausend
und einen Strom sah, Ströme, die zusammenflossen, ineinanderwogten, die sich
verflochten und wieder trennten, um sich in tausend und tausend und tausend
und einen neuen Strom zu verwandeln, da begriff er plötzlich, was er da sah.
Es war dasselbe verzauberte Wasser, das sein Bruder Harun achtzehn Jahre zuvor
im Meer der Geschichtenströme gesehen hatte, und aus dem Meer der Geschichten
hatte sich der Sturzbach der Worte in den See der Weisheit ergossen und
strömte ihm nun entgegen. Das also war er - er musste es sein -, der Fluss,
den Raschid Khalifa den Zeitfluss genannt hatte, und die ganze Geschichte von
Jedem und Allem floss vor Lukas Augen dahin, verwandelt in schimmernde, sich
verflechtende, vielfarbige Geschichtenströme. Er war aus Versehen nach rechts
gestolpert und hatte eine Welt betreten, die nicht seine eigene war; und in dieser
Welt gab es keinen Stinkefluss, sondern nur noch diesen wundersamen
Wasserlauf.
    Er schaute
in die Richtung, in die der Strom floss, doch kurz vor dem Horizont kam Nebel
auf und nahm ihm die Sicht. «Ich kann die Zukunft nicht sehen, aber das scheint
mir auch richtig zu sein», dachte Luka und wandte sich in die andere Richtung,
in der die Sicht anfangs sehr gut war, fast so weit das Auge reichte, doch
weiter hinten kam ebenfalls Nebel auf, das wusste Luka, denn er hatte einen Teil
der eigenen Vergangenheit vergessen und kannte sich in der des Universums auch
nicht besonders gut aus. Direkt vor ihm floss die Gegenwart dahin, leuchtend
hell und faszinierend. Er starrte sie so verzückt an, dass er den Alten vom
Fluss erst sah, als der langbärtige Kerl direkt vor ihm stand, mit einem Terminator
in der Hand, einer riesigen Kanone, groß wie aus einem Science-Fiction-Film,
mit der er ihm mitten ins Gesicht ballerte.
    KRRRAAAWUMMMM!!!
    Wie
interessant, dachte der in eine Million blitzender Bruchstücke zerspringende
Luka, dass ich noch denken kann. Er hätte Denken

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