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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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und bloß die verwegensten Abenteurer
kamen überhaupt auch nur auf den Gedanken, ein solches Wagnis zu unternehmen.
    «Es hat
noch wie jemand geschafft?», fragte Luka.
    «Noch
nie», erwiderte Nobodaddy.
    «Was ist
mit denen passiert, die es versucht haben?»
    Nobodaddy
musterte ihn grimmig. «Das willst du nicht wissen.»
    «Okay»,
sagte Luka. «Und der zweite Haken?»
    Es wurde
dunkel - nicht überall, nur rund um Luka, Hund, Bär und ihren seltsamen
Gefährten. Es war, als hätte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben, dabei war
die Sonne am östlichen Himmel noch zu sehen. Nobodaddy selbst schien auch
dunkler zu werden. Die Temperatur sank. Die Geräusche der Stadt klangen wie
gefiltert. Und endlich begann Nobodaddy mit leiser, dumpfer Stimme zu
sprechen.
    «Jemand
muss sterben», sagte er.
    Luka war
verärgert, verwirrt und verängstigt zugleich. «Wie meinen Sie das?», rief er.
«Was ist das denn für ein blöder Haken?»
    «Wenn
jemand wie ich gerufen wurde», sagte Nobodaddy, «muss ein Lebender für diesen
Ruf mit seinem Leben zahlen. Tut mir leid, aber so lautet die Regel.»
    «Was für
eine bescheuerte Regel, also ehrlich», sagte Luka mit all dem Nachdruck, den
er trotz des flauen Gefühls in seinem Magen aufbringen konnte. «Wer stellt denn
so eine bescheuerte Regel auf?»
    «Wer hat
die Gesetze der Schwerkraft gemacht, der Bewegung, der Thermodynamik?», fragte
Nobodaddy. «Vielleicht weißt du, wer sie entdeckt hat, aber das ist ja wohl
nicht dasselbe, oder? Wer erfand die Zeit, wer die Liebe, die Musik? Manche
Dinge sind einfach nur, sie existieren nach
ihren eigenen Regeln, und du kannst nichts dagegen tun, genauso wenig wie ich.»
    Nach und
nach hob sich die Dunkelheit, die sich um die vier gesenkt hatte, und das
silbrige Sonnenlicht streifte erneut ihre Gesichter. Entsetzt stellte Luka
fest, dass Nobodaddy nicht mehr ganz so durchsichtig war wie noch zu Beginn,
was nur heißen konnte, dass der schlafende Raschid Khalifa schwächer geworden
war. Das gab den Ausschlag. Sie hatten keine Zeit mehr mit Geschwätz zu
verlieren. «Zeigen Sie mir den Weg zu den Wissensbergen?», fragte Luka, und
Nobodaddy grinste ein Grinsen, das ausgesprochen freudlos wirkte. Dann nickte
er. «Okay», sagte Luka. «Los geht's.»
     
    Das linke
Ufer des Zeitflusses
     
    Der Fluss
Silsila war in Lukas Augen kein schöner Fluss. Mag sein, dass er irgendwo in
den Bergen ganz nett begann, als ein blitzender, quecksilbriger Strom, der
über glatte Steine sprudelte, doch hier unten in der Küstenebene war er fett
geworden, dreckig und träge. In breiten, sich windenden Kurven schwappte er
dahin, meist blassbraun, an manchen Stellen aber schleimig und grün; hier und
da schwammen purpurn schimmernde Ölflecken an seiner Oberfläche, und
gelegentlich trieben tote Kühe hinaus ins Meer, was ein trauriger Anblick war.
Zudem galt der Fluss als gefährlich, da er unterschiedliche Strömungen hatte,
manchmal ohne jede Vorwarnung schneller wurde und durchaus ein Boot mit sich
reißen oder es in langsam kreiselnden Strudeln einfangen konnte, sodass man
stundenlang festsaß und vergebens um Hilfe rief. Es gab tückische Untiefen, die
ein Schiff, eine Fähre oder Schaluppe auf eine Sandbank auflaufen lassen
konnten oder zum Kentern brachten, wenn sie unter Wasser auf einen Fels
gekracht waren. Luka malte sich aus, dass in den schlammigen Tiefen des Silsila
allerhand Hässliches, Unsauberes und Glibberiges hauste, jedenfalls gab es
bestimmt nichts in dieser trüben Brühe, was sich zu angeln und zu essen lohnte.
Wer in den Silsila fiel, musste ins Krankenhaus, um sich den Magen auspumpen
zu lassen, und eine Tetanusspritze bekam er auch noch.
    Das
einzige Gute am Fluss war, dass er im Laufe von Jahrtausenden an beiden Ufern
hohe Dämme, Bunde genannt, aufgeschüttet hatte und dadurch den Blicken verborgen
blieb, wenn man nicht eigens auf einen der Deiche stieg und zu der flüssigen
Schlange hinabsah, die da unten entlangkroch und so fürchterlich roch. Dank der
Bunde trat der Fluss auch nie über die Ufer, nicht mal in der Regenzeit, wenn
das Wasser stieg und stieg, wodurch es der Stadt erspart blieb, dass sich seine
braunen, grünen, purpurnen Fluten voll unsäglicher schleimiger Monster und
totem Vieh in ihre Straßen ergossen.
    Auf dem
Silsila herrschte reges Treiben, Korn, Baumwolle, Holz und Brennstoff wurden
vom Land durch die Stadt zum Meer transportiert, doch die Lastschiffer, die
sich auf langen, flachen Leichtern um die Fracht

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