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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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sich zu einem großen Pavillon herab, der von sieben goldenen,
zwiebeiförmigen Kuppeln gekrönt wurde. Sie blitzten und funkelten in der Sonne.
«Sollten wir uns von diesen Göttern und Göttinnen nicht lieber fernhalten?»,
wandte Luka ein. «Wir wollen doch sicher nicht, dass sie uns sehen und von
unserer Ankunft erfahren. Schließlich kommen wir als Diebe.»
    «Sie können
dich nicht sehen», antwortete Soraya, «weil sie blind für alle sind, die aus
der realen Welt stammen. Für sie existierst du nicht, so wie sie für dich
nicht mehr existieren. Du kannst direkt zu jedem Gott, jeder Göttin
marschieren, dich vor sie hinstellen, rufen und ihnen in die Nase
zwicken, doch sie werden tun, als ob nichts wäre oder als würden sie von einer
Fliege belästigt. Um die Wesen aus ihrer Nachbarschaft, so wie mich selbst,
scheren sie sich ebenso wenig, denn da wir kein Teil ihrer Geschichte sind,
glauben sie, wir zählen auch nicht. Dumm von ihnen, aber so sind sie nun mal.»
    «Dann ist
das hier eine Art Geisterstadt», dachte Luka, «und diese sogenannten
Allmächtigen sind wie Schlafwandler, bloß noch ein Abklatsch ihrer selbst. Hier
geht es zu wie in einem mythologischen Vergnügungspark - man könnte ihn
Gottland nennen -, nur gibt es keine Besucher, uns ausgenommen, und auch wir
sind bloß hier, um uns ihren kostbarsten Besitz unter den Nagel zu reißen.» Zu
Soraya sagte er: «Aber wenn man uns nicht sehen kann, ist es da nicht leicht,
das Lebensfeuer zu stehlen? Warum machen wir es nicht einfach?»
    «Im
innersten Herzen, also im Inneren des Kreisrunden Meeres, wo der See der
Weisheit in das Licht des Anbeginns der Tage getaucht ist», sagte Soraya,
«sieht die Sache ganz anders aus. Da gibt es keine gefeuerten Götter, die
schlafwandelnd durch die Gegend tapsen, denn das ist das Land der Aalim - der
drei Jos -, die über die gesamte Zeit wachen. Sie sind die höchsten Wächter des
Feuers, und denen entgeht nicht die kleinste Kleinigkeit.»
    «Die drei
Jos?», fragte Luka.
    «Jo-Hua,
Jo-Hai und Jo-Aiga», erklärte Soraya und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern.
«Was war, was ist und was sein wird, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die
Allwissenden, die Aalim, die Dreieinigkeit der Zeit.»
    Die
goldenen Zwiebelkuppeln lagen jetzt direkt unter ihnen, doch Luka konnte nur an
das Lebensfeuer denken. «Und wie kommen wir dann an den Jos vorbei?», flüsterte
er Soraya zu, doch sie breitete achselzuckend die Arme aus und sagte mit einem
etwas bekümmerten Lächeln: «Du hast doch von Anfang an gewusst, dass es noch
niemand geschafft hat. Allerdings gibt es jemanden, der sich meist hier
irgendwo herumtreibt und uns vielleicht hilft. Gewöhnlich hält er sich ziemlich
gut versteckt, aber hier können wir ihn noch am ehesten finden. Er schaut
nämlich gern zu, wenn die Schönen miteinander kämpfen.»
    Sie
landete mit dem fliegenden Teppich an einem ausgedehnten Rhododendrongebüsch,
das groß genug war, die Argo dahinter
zu verbergen. «Nur wenige magische Wesen trauen sich in die Nähe eines
Rhododendrons», erzählte sie Luka, «da sie ihn für giftig halten. Trieben sich
hier Yetis herum, würden sie ihn natürlich gleich verschlingen, aber da es in
diesem Land keine dieser schrecklichen Schneemänner gibt, dürfte die Argo zumindest
eine Zeitlang hinter dem Busch in Sicherheit sein.» Dann faltete sie den
Teppich zusammen, steckte ihn sich in die Tasche und marschierte auf das Gebäude
mit den Zwiebelkuppeln zu. Die vier Gestaltwandlerinnen mutierten zu
Metallschweinen und trotteten mit mächtigem Geschepper neben Soraya, Nobodaddy,
Luka, den Gedächtnisvögeln, Bär dem Hund und Hund dem Bären zum Kampfpavillon,
aus dem jetzt lautes, wütendes Getöse drang: der Lärm kriegführender Göttinnen.
    «Es ist
wirklich bescheuert», sagte Soraya, «aber sie kämpfen darum, wer von ihnen die
Schönste ist - als ob das wichtig wäre. Schönheitsgöttinnen sind die
Schlimmsten. Viele tausend Jahre wurden sie umworben und verhätschelt,
Sterbliche wie Unsterbliche haben ihr Leben für sie hingegeben, und so glauben
sie, sie könnten sich alles erlauben. Für sie ist das Beste gerade gut genug,
und wenn es jemand anderem gehört, was soll's? Sie sind davon überzeugt, dass
es ihnen eher zusteht als dem jeweiligen Besitzer, ob es sich dabei nun um ein
Juwel, einen Palast oder einen Mann handelt. Mittlerweile aber leben sie auf
der Abfallhalde ihrer einstigen Macht, und ihre Schönheit lässt keine Schiffe
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