Rushdie, Salman
Vergnügen
mit ihm gespielt. Wer konnte schon sagen, was für einen merkwürdigen Humor
solch ein Wesen besaß? Möglicherweise hatte er nie damit gerechnet, dass Luka
es bis hierhin schaffte, weshalb es ihm überhaupt nicht gefiel, dass sie jetzt
tatsächlich zum Lebensfeuer flogen. Vielleicht war er nicht ehrlich gewesen und
hatte etwas dagegen, dass ihnen ihre Suche glückte? Jedenfalls durfte
Nobodaddy nicht aus den Augen gelassen werden, beschloss Luka, nur für den
Fall, dass er versuchen sollte, im letzten Augenblick alles zu sabotieren. Er
sah aus wie der Schah von Bläh, bewegte sich wie der Schah von Bläh, redete wie
der Schah von Bläh, aber das machte ihn noch lange nicht zu Lukas Vater.
Vielleicht hatten Hund und Bär ja recht: Nobodaddy war nicht über den Weg zu
trauen. Möglicherweise befand er sich auch in einem inneren Zwiespalt, und das
Raschidhafte lag im Widerstreit mit jener Todeskreatur, die seinen Vater in
sich aufsaugte. Vielleicht war ja das Sterben so: ein Streit zwischen Leben
und Tod.
«Doch wer
diesen Streit gewinnt, wird heute nicht entschieden», dachte Luka. «Vorläufig
muss ich jedenfalls aufhören, ihn für meinen Vater zu halten.»
Nach einer
kurzen Landung, bei der alle Reisenden - und natürlich die Argo - wieder an
Bord geholt wurden, war Sorayas fliegender Teppich erneut in der Luft. Jaldi, Sara,
Bacllo und Jinn, die vier Gestaltwandlerinnen, umflogen Resham in exakter
Formation, ein Drache an jeder Seite, um den Teppich gegen mögliche Angriffe zu
schützen. Luka schaute hinab und sah tief unter sich den Zeitfluss, der vom
fernen und außer Sicht liegenden See der Weisheit zum Herz des Herzens strömte
(das sie gleichfalls nicht sehen konnten, weil es noch zu weit entfernt war)
und dabei durch die ungeheure Weite des Kreisrunden Meeres floss. An dessen
Grund lebte, wie Luka wusste, der riesige Gründlerwurm, ein Wurm, dessen Leib
sich einmal ganz um das kreisrunde Meeresufer wand, sodass er mit dem Maul den
eigenen Schwanz anknabbern konnte. Außerhalb dieses Kreises, der im Moment
direkt unter ihrem Teppich lag, erstreckte sich das riesige Reich der
Ungezogenen Götter, jener Götter also, an die niemand mehr glaubte und die für
die Menschen nur noch Märchen aus alter Zeit waren.
«In der
realen Welt haben sie keine Macht mehr», hatte Raschid Khalifa ihm oft in
seinem knautschigen Lieblingssessel erzählt, während Luka zusammengerollt auf
seinem Schoß lag, «deshalb leben sie jetzt alle in der Welt der Magie - die
alten Götter des Nordens, die Götter Griechenlands und Roms, die
südamerikanischen Götter und die Götter Sumers und Ägyptens von ehedem. Sie
verbringen ihre endlose, zeitlose Zeit damit, so zu tun, als wären sie noch
immer göttlich; und sie spielen die alten Spiele, kämpfen immer aufs Neue die
alten Kriege und versuchen zu vergessen, dass sich heutzutage niemand mehr so
recht für sie interessiert oder auch nur ihre Namen kennt.»
«Klingt
ziemlich traurig», sagte Luka zu seinem Vater, «und hört sich fast so an, als
sei das Herz der Magie eine Art Altersheim für gestrandete Superhelden.»
«Lass sie bloß
nicht hören, was du da sagst», erwiderte Raschid Khalifa, «denn sie sehen alle
noch fantastisch aus, taufrisch und jugendlich, na ja, perfekt eben. Göttlich
oder auch nur ehemals göttlich zu sein hat schon so seine Vorteile. Außerdem
verfügen sie in der Welt der Magie noch über ihre alten Superkräfte. Nur in
der realen Welt haben ihre Donnerkeile und Zaubersprüche jede Macht verloren.»
«Es muss
schlimm sein», sagte Luka, «so lange verehrt und angebetet zu werden, nur um
dann auf dem Müllhaufen der Geschichte zu landen.»
«Besonders
für die Götter der Azteken in Mexiko», sagte Raschid, und seine Stimme nahm
einen finsteren Ton an, «denn sie waren Menschenopfer gewohnt. Den Verurteilten
wurde bei lebendigem Leibe die Kehle durchgeschnitten und ihr Blut in den
Steinkelchen der Götter aufgefangen. Heutzutage gibt es für diese entthronten
Götter kein Blut mehr. Hast du mal von Vampiren gehört? Die meisten sind
blutrünstige, in die Jahre gekommene, untote Aztekengötter. Huitzilopochtli!
Tezcatlipoca! Tlahuizcalpantecuhtli! Macuilcozcacuauhtli!
Ithtlacoliuhqui-Ixquimilli...»
«Aufhören,
aufhören!», flehte Luka. «Kein Wunder, dass sie nicht mehr angebetet werden.
Die Namen kann ja kein Mensch aussprechen.»
«Vielleicht
lag es aber auch daran, dass sie so ungezogen waren», sagte Raschid.
Luka
merkte auf. Was
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