Rushdie, Salman
Um ihn fortzujagen, stürmten sie mit ihren Besenstielen aus
dem Zelt und liefen hinter ihm her. Derweil eilte Kojote ins Zelt, öffnete mit
der Schnauze die Truhe, stahl den brennenden Scheit und rannte davon. Als die
Hexen ihn mit dem Feuer davonflitzen sahen, vergaßen sie den Indianer und
verfolgten stattdessen Kojote. Kojote sauste wie der Wind, und als er müde
wurde, gab er den brennenden Scheit an den Löwen weiter, der damit zum großen
Bären lief, der zum kleinen Bären lief und so weiter. Zu guter Letzt
verschluckte der Frosch das Feuer und sprang in den Fluss, wohin ihm die Hexen
nicht folgen konnten; kurz darauf hüpfte er ans andere Ufer, spie im Dorf
Karaoke das Feuer auf einen Haufen Reisig, und da prasselte und knisterte das
Feuer, die Flammen loderten hoch in den Himmel auf, und alle freuten sich. Bald
darauf kehrte auch der Indianer zurück, der ins Zelt der Hexen geschlichen
war (während sie Kojote jagten) und die Musiktruhe selbst gestohlen hatte. Von
nun an sangen die Indianer immerzu, da die verzauberte Musiktruhe ohne
Unterlass ihre Auswahl der beliebtesten Songs spielte.»
«Okay»,
sagte Luka skeptisch. «Die Geschichte ist ja ganz nett, aber...»
Wie ein
Westernheld schlenderte in diesem Moment Kojote lässig hinter dem Rhododendron
hervor, bereit, es mit allen Göttern und der ganzen Welt aufzunehmen. Buenos
dias, Kid, sagte er auf seine coole, schräge Art. Meine
kleine Amiga hier, die Insultana, hat durchblicken lassen, dass du ein bisschen
Hilfe gebrauchen könntest. Und wenn du mich fragst, solltest du dir alle Hilfe
grabschen, die du kriegen kannst. Er gab ein stolzes, wölfisches
Lachen von sich. Und jetzt spitz die Lauscher, Feuerdieb. Gibt
nämlich keinen Hombre, der im Feuerklauen mehr Erfahrung hat als meine
Wenigkeit. Bis auf diesen einen Kerl vielleicht, Mann, war das 'ne Riesentype,
aber nach der Sache vom letzten Mal ist wohl nicht mehr mit ihm zu rechnen. Was
soll's, kann man nix machen. Schätze, er hat die Nerven verloren.
«Wieso?
Was ist passiert?», fragte Luka, ohne es eigentlich wissen zu wollen.
Wurde
geschnappt, gab Kojote unumwunden zu. Seinen
Riesenbody hat man an den Fels gekettet. Si, Senor, lag da mit ausgestreckten
Armen und Beinen, preisgegeben der Gnade der Gnadenlosen. Ein Adler hackte Tag
für Tag an seiner Leber rum, aber dank 3-J-Magie wuchs sie nachts wieder nach,
weshalb der Adler bis ans Ende aller Zeiten an seiner Leber knabbern kann. Soll
ich noch genauer werden?
«Nein,
danke», sagte Luka und stellte keineswegs zum ersten Mal fest, dass er nicht
mehr durchblickte. Um sich keine Blöße zu geben, fuhr er fort: «Also ehrlich,
irgendwer versucht doch hier, mir ein X für ein U vorzumachen. Erst heißt es
ständig, dass das Lebensfeuer in der gesamten Geschichte der magischen Welt
noch niemals gestohlen wurde, und jetzt kommst du daher und erklärst mir, du
hättest es geschafft; und dieser Oldtimer, von dem du redest, dem ist es
anscheinend auch schon gelungen. Was denn jetzt? Werde ich die ganze Zeit
angelogen? Ist es viel leichter, das Lebensfeuer zu stehlen, als bislang behauptet
wurde?»
Soraya
erwiderte: «Wir hätten es dir besser erklären müssen. Gleich zu Anfang hätte
Nobodaddy das tun sollen, ich übrigens auch. Und du hast recht, so unwirsch zu
reagieren. Was ich dir jetzt sage, das ist jedenfalls die reine Wahrheit. In
Raum und Zeit hat die Welt der Magie schon mancherlei Formen angenommen und
viele Namen getragen. Sie wechselte ihren Ort, ihre Geographie und ihre
Gesetze, so wie sich auch die Geschichte der realen Welt von Zeitalter zu
Zeitalter ändert. Und es stimmt, an manchen Orten und zu manchen Zeiten ist es
Feuerdieben gelungen, das Feuer der Götter an sich zu reißen. Seit aber das
Herz der Magie in seiner gegenwärtigen Form und Gestalt existiert, an diesem
Ort, zu dieser Zeit, im Hier und Jetzt, ist es niemandem mehr gelungen. Das ist
die Wahrheit. Die Aalim waren immer da - wer könnte schließlich auch der
Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft entkommen? - , aber sie hatten
die Leitung lange den Göttern der jeweiligen Zeit überlassen, also jenen
ehemaligen Himmelsherrschern, die du eben gesehen hast, inkompetenten
Gottheiten, die in ihrem Job meist nicht besonders gut waren. Mittlerweile
haben die Aalim jedoch die Sache wieder selbst in die Hand genommen. Alles
wurde neu organisiert, und das Lebensfeuer wird nun lückenlos überwacht. Die
drei Jos wissen Bescheid. Jo-Hua kennt auch die winzigsten Details
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