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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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fürchte, selbst wenn ich den fliegenden Teppich
von König Salomon zusammenfalte, wird dir die Anwesenheit der Insultana von Ott
nicht helfen, Luka. Ich habe diese kaltherzigen, grantigen, strafenden,
unerbittlichen, ruchlosen alten Jos schon so oft beleidigt, dass sie nichts
mehr für mich übrighaben. Für dich wird es nur noch schlimmer, wenn ich an
deiner Seite bin. Und ich betrete das Herz des Herzens nie wieder, so viel
steht fest; ich denke nicht daran, in Schnüffelheim unter einer Eisschicht zu
enden. Aber ich werde hier auf dich warten, um dich rasch in Sicherheit zu
bringen, falls du, nein, sobald du mit
glühenden Ottertoffeln in dem kleinen Otterpott da zurückkommst.»
    «Das
würdest du für mich tun?», fragte Luka, an den goldenen Drachen gewandt. «Du
würdest diese einmalige Verwandlung aufbrauchen, nur um mir zu helfen? Ich
weiß nicht, wie ich dir danken soll.»
    «Wir
schulden unser Leben Königin Soraya», sagte Gyara-Jinn. «Sie ist diejenige, der
du danken solltest.»
     
    *
     
    «Wer hätte
gedacht», sagte sich Luka trübsinnig, «dass ich, Luka Khalifa, gerade zwölf
Jahre alt, je die großartige Brücke Vibggor überqueren würde, die schönste Brücke
der gesamten magischen Welt, allein aus Regenbogen errichtet und vom Westwind
gestreichelt, jenem lauesten aller Winde, den Gott Zephir höchstpersönlich
bläst, und dabei nichts sehe oder fühle als die Innenschenkel eines
Riesengauls. Wer hätte gedacht, dass sich da draußen einige der berühmtesten
Persönlichkeiten aus der Geschichte der Ungesehenen Welt aufhalten, einst
verehrte, einst allmächtige Gottheiten, mit deren Namen ich aufwuchs und von
denen ich allabendlich hörte, wenn mein Vater aus seinem endlosen Vorrat an Gutenachtgeschichten
schöpfte, die Ex-Götter Tonatiuh, Vulkan, Surt und Bei, das Schwert Kusanagi,
der Vogel Bennu und der allerhöchste Ra, und ich nicht mal einen Blick auf sie
werfen kann, ebenso wie sie unter keinen Umständen auch nur den winzigsten Zipfel
von mir erhaschen dürfen. Wer hätte gedacht, dass ich, Luka, einmal in den
Garten der Perfekten Parfüme gelangen würde, der den See der Weisheit umgibt,
den Ort mit den herrlichsten Düften der gesamten Schöpfung, und doch nichts
anderes rieche als Pferd.»
    Er spürte
die brennende Sonne und konnte Geräusche hören, wie er sie in seinem Leben nie
zuvor gehört hatte: den schrillen Schrei eines Falken, das Zischeln einer
Schlange, das Gebrüll eines Löwen, die Schlachtrufe der Götter; und all das
wurde ins Unvorstellbare, fast Unerträgliche gesteigert. Wie zur Antwort
schnaubte, wieherte und stampfte die Wandlerin Gyara-Jinn in Gestalt des
Königs der Pferde mit ihren (oder, zumindest für den Augenblick, seinen) acht
Beinen auf, sodass die zwischen ihren (oder, zumindest für den Augenblick,
seinen) Beinen verborgenen Eindringlinge mächtig durchgerüttelt wurden und
erschrocken zusammenzuckten. Luka mochte gar nicht daran denken, wie sich Hund
und Bär fühlten. Unter einem Pferd, eingeklemmt zwischen den Beinen, das war
kein Platz für einen Hund oder einen Bären. Bestimmt verletzte es ihren Stolz,
und es quälte Luka, Verursacher dieser Pein zu sein. Außerdem setzte er die
Gefährten großer Gefahr aus, das wusste er, doch musste er sich diesen Gedanken
verbieten, wenn er auch nur die geringste Chance haben wollte, das zu tun,
was getan werden musste. «Ich nutze ihre Liebe und Treue aus», dachte er.
«Anscheinend gibt es so etwas wie die reine gute Tat nicht, ein gänzlich ehrenhaftes
Handeln. Selbst dieses Abenteuer, das ich mit den allerbesten Absichten begann,
verlangt Entscheidungen, die nicht sind, Entscheidungen, die
vielleicht sogar sind.»
    Vor seinem
geistigen Auge sah er wieder die Gesichter von Königin Soraya und der
Gedächtnisvögel, sah ihre Mienen, als er sich von ihnen verabschiedete. In
ihren Augen hatten Tränen gestanden, und er wusste, sie fürchteten, ihn
niemals wiederzusehen. Auch diesen Gedanken musste er sich verbieten. Er würde
sie alle eines Besseren belehren. Wenn etwas noch nie gelungen war, dann bedeutete
das nur, dass es noch nie der Richtige versucht hatte. «Nur noch mein Wille
lenkt mich», dachte er. «Ich bin einzigartig und unaufhaltsam, wie ein Pfeil,
der auf sein Ziel zuschießt. Nichts darf mich von meinem Weg abbringen.»
    Irgendwo
am Himmel über ihm flogen Nuthog, Badlo und Sara in Drachengestalt dahin und
hielten ihre strenge Formation bei. Jetzt führte kein Weg mehr zurück.

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