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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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    «Ich habe
es doch immer gewusst», dachte er glücklich, «wenn ich nur den Zugang finde,
dann fällt mir im linkshändigen Universum alles viel leichter als in der
rechtshändigen Welt. Und ich könnte wetten, wenn es hier irgendwo einen
Türknauf gibt, dann dreht der sich linksherum. Ist die Welt zur Abwechslung
mal auf uns Linkshänder eingestellt, scheint sogar das Wissen selbst kein
riesiges, furchteinflößendes Gebirge mehr zu sein.»
    Die rote
Eichkatz, eindeutig eine hübsche Eichhörnchendame, wartete auf einem niedrigen
Baumstumpf und knabberte derweil an einer Eichel. «Grüße von Königin Soraya»,
sagte sie und verbeugte sich formvollendet. «Ich heiße Ratatat. O ja, Ihre
Majestät, die Insultana, dachte sich, dass du ein wenig Führung wohl zu schätzen
wüsstest.»
    «Sie hat
jedenfalls überall Freunde», staunte Luka.
    «Wir
Rotschöpfe halten eben zusammen», sagte Ratatat, der sich vor Behagen
aufplusterte. «Und einige von uns (nun ja, ich will ja nicht angeben, aber was
soll's, heraus damit) sind altgediente Ehrenotter, langjährige Mitglieder des
höchst geheimen Otterrings, einer verdeckt ermittelnden Notfallschwadron der
Insultana - Schläferspione, wenn du so willst, die diskret in Otterbetten
lauern und ihrer Herrin über einen persönlichen Otterstotterdraht rund um die
Uhr zu Diensten stehen, falls man es denn für nötig hält, uns zu aktivieren.
Doch ich fürchte, du bist in Eile, und so gern ich mich mit dir auch weiter
über Otterthemen unterhalten würde, sollten wir doch», fuhr sie rasch fort,
wobei sie bemerkte, dass Luka den Mund öffnete, um ihn dann gehorsam wieder zu
schließen, «otterdipotter den Berg erklimmen, solange wir
dazu noch imstande sind.»
     
    *
     
    Zielstrebig
hüpfte Luka den Berg hinauf, so sehr freute er sich. Er war nach links
gesprungen, vom Beschwerlichen Berg zum Mühelosen Hügel, und das Lebensfeuer
brannte nun fast in Reichweite. Bald würde er wie der Wind nach Hause eilen, um
seinem Vater das Feuer in den Mund zu schütten; Raschid Khalifa würde wieder
aufwachen, es gäbe jede Menge neue Geschichten zu erzählen, und seine Mutter
Soraya würde wieder singen ... «Du weißt aber», sagte Ratatat, das
Eichhörnchen, «dass dort oben Wachen stehen?»
    «Wachen?»,
rief Luka entsetzt und blieb abrupt stehen, denn irgendwie hatte er mit keinen
weiteren Hindernissen gerechnet - hier doch nicht, nicht in der Dimension
Linkerhand. Die Freude strömte aus ihm heraus wie Blut aus einer Wunde.
    «Du hast
doch nicht etwa gedacht, dass man das Lebensfeuer unbewacht lässt, oder?»,
fragte Ratatat so streng, als unterrichtete sie einen etwas zurückgebliebenen
Schüler.
    «Gibt es
in dieser magischen Welt denn auch Feuergötter?», fragte Luka und kam sich
dabei so dumm vor, dass er tatsächlich rot wurde. «Na ja, muss es wohl, aber
ich meine, sind die nicht gerade alle woanders, bewachen die Regenbogenbrücke oder
suchen ... na, nach mir, zum Beispiel?»
    «Zusätzlich
zu den Feuergöttern», sagte Ratatat, «gibt es auch noch die Feuerwachen, o ja.»
    Heutzutage,
erklärte das Eichhörnchen, falle die Aufgabe, das Lebensfeuer zu bewachen, den
mächtigsten Wächtergeistern aller Mythologien und toten Religionen zu. Die fünf
ernannten Wächter, einer fürchterlicher als der andere, das waren der gefleckte
Zerberus, ein fünfzigköpfiger Hund aus Griechenland und einstmals Hüter des
Tores zur Unterwelt; Anzu, der sumerische Dämon mit Kopf und Pranken eines
Löwen und den Klauen und Flügeln eines Adlers; der enthauptete, aber noch
lebende Kopf des nordischen Riesen Mimir, der das Lebensfeuer schon so lange
bewachte, dass er in den Wissensberg eingewachsen und Teil von ihm geworden
war; Fafnir, der Superdrache, groß wie die vier Wandlerinnen zusammen, aber
hundertmal mächtiger; sowie Argus Panoptes, der Kuhhirt mit den hundert Augen,
die alles sahen und denen nichts entging.
    «Aha»,
sagte Luka und ärgerte sich über sich selbst. «Natürlich, damit hätte ich
rechnen sollen. Aber nun, da du alles weißt, kannst du mir da auch sagen, wie
ich diese nette Schar umgehen kann?»
    «Mit Witz
und List», sagte Ratatat. «Hast du genug davon? Ein ordentlicher Vorrat wäre
nämlich äußerst ratsam. Hermes hat Argus mal überlistet, indem er ihm
Schlaflieder vorsang, bis dem Kuhhirten alle hundert Augen zufielen und er
einschlief. O ja, wer das Lebensfeuer stehlen will, der muss listig sein,
verschlagen, trickreich, raffiniert, gerissen und ausgekocht.

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