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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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diesem Krähenwinkel nicht gerade alle Tage,
während die imposante Gestalt an der Spitze der Kavalkade mit der so überaus weißen Haut und dem so überaus
schwarzen Haar, der bleiche Anführer, in dem Signora
Machiavelli den Sensenmann höchstpersönlich zu erkennen gemeint hatte, zweifellos ziemlich erschreckend
wirkte, weshalb die Kinder auch vor ihm zurückwichen,
denn ob nun Todesengel oder nicht, hatte er doch eindeutig mehr Menschen sterben sehen, als gut für ihn oder
sonst irgendjemanden sein konnte. Doch auch wenn er
wirklich der Todesengel war, wirkte er zugleich seltsam
vertraut, und er sprach den Dialekt der Gegend, weshalb
sich manch einer fragte, ob der Tod gleichsam immer
regionale Gestalt annahm, die eigene Mundart sprach, die
innersten Geheimnisse kannte und noch über die ureigensten Witze lachte, während man von ihm bereits in
die Schattenwelt gekarrt wurde.
Allerdings waren es die beiden Frauen, Marietta Corsini
Machiavellis «Teufelsköniginnen», die jedermanns Aufmerksamkeit am stärksten erregten. Sie ritten, wie Männer reiten, saßen rittlings auf ihren Rössern, was ihr
weibliches Publikum aus einem und die zuschauenden
Männer aus ganz anderem Grund aufkeuchen ließ, und in
ihren Gesichtern leuchtete das Licht der Offenbarung, als
ob sie in jenen frühen Tagen ihres Unverschleiertseins
fähig gewesen wären, das Licht aus allen Augen, die sie
anschauten, aufzusaugen, um es dann als ihr eigenes
Leuchten mit mesmerischer, Phantasien weckender Wirkung zurückzuwerfen. Die Gebrüder Frosino, selbst
Zwillinge, musterten sie mit entrückten Mienen und
dachten an eine Doppelhochzeit in nicht allzu ferner Zukunft. Trotz dieser Wahnvorstellungen aber erkannten sie
scharfen Blickes, dass diese erstaunlichen Damen nicht
ganz identisch, ja vermutlich nicht einmal miteinander
verwandt waren. «Erstere ist die Herrin, Letztere die
Dienerin», sagte der mehlbestäubte Frosino Due und
setzte dann, da er der poetischere der beiden Brüder war,
noch hinzu: «Sie sind wie Sonne und Mond, wie Klang
und Echo, wie der Himmel und sein Spiegelbild im See.»
Sein Bruder gehörte eher zur direkten Sorte. «Also nehme ich mir die Erste, und du kannst die Zweite haben»,
sagte Frosino Uno. «Denn die Zweite ist zwar auch
schön, keine Frage, mit der machst du einen guten Fang,
aber neben meiner wirkt sie fast unsichtbar. Man muss
schon ein Auge schließen, um mein Mädchen auszublenden, wenn man sehen will, dass deines auch ganz passabel ist.» Da er der um elf Minuten ältere Bruder war, gestand er sich das Recht der freien Auswahl zu. Frosino
Due wollte bereits aufbegehren, als die erste Dame, die
Herrin, sich direkt zu den Brüdern umwandte und ihrer
Gefährtin in vollendetem Italienisch zumurmelte: «Was
meinst du, meine Angelica?»
    «Sie haben durchaus einen gewissen simplen Charme,
meine Angelica.»
«Natürlich ist es verboten, meine Angelica.»
«Natürlich, meine Angelica, aber vielleicht kommen wir
ja in ihren
Träumen zu ihnen.»
«Wir beide, kommen wir beide zu ihnen, meine Angelica?» «Dann, meine Angelica, werden die Träume schöner.»
    Also waren sie Engel. Keine Teufelinnen, sondern Gedanken lesende Engel, die ihre Flügel zweifellos ordentlich gefaltet unter ihren Kleidern verbargen. Die Gebrüder Frosino zuckten zusammen, wurden rot und warfen
wilde Blicke um sich, doch hatte außer ihnen offenbar
niemand vernommen, was ihnen die Engel auf Pferdesrücken anvertraut hatten. Das war natürlich unmöglich und
ein weiterer Beweis dafür, dass etwas gleichsam Göttliches geschehen sein musste. Etwas Göttliches oder Übersinnliches. Dies hier waren jedenfalls Engel, wahre Engel. Angelica, der Name, den sie miteinander teilten, war
kein Name für Dämonen. Sie waren Traumengel, die den
Müllern Freuden versprochen hatten, von denen Männer
wie sie wahrlich nur träumen konnten. Die Freuden des
Paradieses. Ein Kichern quoll urplötzlich aus ihrem
Mund, als die Brüder sich umdrehten und, so rasch ihre
Beine sie tragen konnten, zurück in die Mühle rannten.
«Wo wollt ihr hin?», rief ihnen Gabburra nach, der
Metzger, doch wie hätten sie ihm erklären können, dass
sie sich ganz dringend hinlegen und die Augen schließen
mussten? Wie erklären, weshalb es so wichtig war, weshalb es nie zuvor so wichtig gewesen war zu schlafen?
Vor Vettoris Taverne verharrte die Prozession. Stille
breitete sich aus, die nur vom leisen Wiehern müder
Pferde

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