Rushdie Salman
Liste mit zweihundert
Namen:
Feinde der Medici in den Augen eines Idioten. Einer der
Namen lautete: Machiavelli.
Wer einmal in einer Folterkammer war, dessen Sinne
können gewisse Dinge nie mehr vergessen: die klamme
Dunkelheit, den abgestandenen Gestank menschlicher
Exkremente, die Ratten, die Schreie. Wer einmal gefoltert wurde, in dem hört ein Teil nie auf, Schmerz zu fühlen. Die unter dem Namen strappado bekannte Strafe
gehört zu den quälendsten Foltern, die man einen Menschen erleiden lassen kann, ohne ihn gleich zu töten. Die
Handgelenke waren hinter seinem Rücken gefesselt, und
das Seil führte über einen an der Decke hängenden Flaschenzug. Wenn er daran hochgezogen wurde, war der
Schmerz in seinen Schultern die ganze Welt. Nicht bloß
die Stadt Florenz und ihr Fluss, nicht bloß Italien, nein,
Gottes gesamte Schöpfung wurde durch diesen Schmerz
ausgelöscht. Schmerz war die neue Welt. Kurz ehe er
aufhörte, an irgendwas zu denken, und um nicht daran
denken zu müssen, was danach geschehen würde, dachte
Il Machia an die Neue Welt und an Agos Vetter Amerigo, an Gonfaloniere Soderinis Freund, an Amerigo, den
Wilden, den Wanderer, der mit Kolumbus bewiesen hatte, dass im Ozean keine Ungeheuer lebten, welche ein
Schiff mit einem einzigen Bissen zerteilen konnten, dass
die Schiffe nicht in Flammen aufgingen, wenn sie den
Äquator erreichten, dass sie nicht im Morast stecken
blieben, wenn sie zu weit nach Westen segelten, und der,
wichtiger noch als alles andere, so klug war zu begreifen,
was dieser Trottel von Kolumbus nicht kapierte, nämlich
dass die Landmasse auf der anderen Seite des Ozeans
keine indischen Inseln waren, dass sie mit Indien nichts
zu tun hatte, sondern eine gänzlich neue Welt darstellten.
Würde diese Neue Welt nun auf Befehl der Medici geleugnet werden, würde sie per Erlass ausgelöscht und nur
zu einem dieser unglückseligen Hirngespinste werden -
so wie Liebe, Rechtschaffenheit oder Freiheit -, um mit
der Republik unterzugehen, von Soderini und all den
übrigen Verlierern in die Tiefe gezerrt, ihn selbst eingeschlossen? Der glückliche alte Seebär, dachte Il Machia,
steckt wohlbehalten in Sevilla, wo ihm sogar der Arm der
Medici nichts anhaben kann. Amerigo mochte alt und
krank sein, aber er war in Sicherheit und durfte nach seinen vielen Reisen immerhin in Frieden sterben, dachte Il
Machia; und dann wurde das Seil zum ersten Mal angezogen, und Amerigo verschwand, dann die Alte Welt und
schließlich auch die Neue.
Sechs Mal zog man mich hoch, aber ich habe nichts gestanden, weil ich nichts zu gestehen hatte. Nach der Folter wurde er wieder in die Zelle gesperrt, und man tat, als
wolle man ihn dort vergessen und langsam im rattigen
Dunkel krepieren lassen. Dann aber, ganz unverhofft, die
Freilassung, in die Schmach entlassen, ins Vergessen, ins
Eheleben. Frei, um nach Percussina zurückzukehren. Mit
Ago Vespucci spazierte er durch die Wälder und suchte
nach Alraunen, aber sie waren keine Kinder mehr. Ihre
Hoffnungen lagen aufgegeben hinter ihnen, schimmerten
nicht länger leuchtend in der Zukunft. Die Zeit für Alraunen war vorbei. Einmal hatte Ago versucht, La Fiorentinas Liebe zu erringen, indem er Alraunenpulver in
ihr Glas schüttete, doch die gewiefte Alessandra war
nicht so leicht zu erobern, sie zeigte sich immun gegen
Alraunenzauber und ersann für Ago eine schreckliche
Strafe. In der Nacht, nach der sie das Alraunenelixier
getrunken hatte, wich sie von ihren sonst so peinlich genau eingehaltenen Lebensgewohnheiten ab und ließ Ago,
diesen unbedeutenden Tropf, hochmütig in ihr Bett, doch
kaum hatte er fünfundvierzig Minuten lang das ungetrübte Glück des Paradieses genossen, stieß sie ihn ohne weitere Umstände wieder hinaus, allerdings nicht ohne ihn
zuvor an den geheimen Fluch der Alraune zu erinnern,
dass nämlich jeder Mann, der eine im Banne der Alraune
stehende Frau geliebt hatte, innerhalb von acht Tagen
sterben müsse, falls sie nicht sein Leben rettete, indem
sie ihm gestattete, eine ganze Nacht mit ihr zu verbringen, «und darauf, mein Lieber», sagte sie, «kannst du
lange warten». Ago, der abergläubische Schisshase, der
wie alle Welt felsenfest an die Magie glaubte, verbrachte
acht Tage in der Gewissheit, dass sein Ende nahe war,
fühlte den Tod die Glieder hinaufkriechen, spürte, wie
kalte Finger ihn liebkosten und seine Hände langsam,
ganz langsam Hoden und Herz mit eisernem Griff umklammerten. Als
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