Rushdie Salman
unter-brochen wurde. Wie jedermann, so starrte
auch Il Machia die Frauen an, weshalb es ihm, als er Argalias Stimme aus dem Mund des bleichen Kriegers
dringen hörte, vorkam, als zerrte man ihn vom Altar der
Schönheit in eine stinkende Jauchegrube. «Was ist, Niccola», sagte die Stimme, «weißt du nicht mehr, dass es
heißt, man würde sich selbst vergessen, wenn man seine
Freunde vergisst?» Marietta klammerte sich angsterfüllt
an ihren Gatten. «Wenn der Tod sich heute dein Freund
nennt», zischte sie ihm ins Ohr, «sind deine Kinder noch
vor Nachteinbruch Waisenkinder.» Il Machia schüttelte
sich, als müsste er sich von der Nachwirkung berauschender Getränke befreien. Dann blickte er dem Reiter
fest, doch ohne einen Funken Wärme in die Augen. «Am
Anfang waren drei Freunde: Niccola ‚Il Machia‘, Agostino Vespucci und Antonio Argalia. Die Welt ihrer Kindheit war ein Zauberwald. Dann wurden Ninos Eltern von
der Pest dahingerafft. Er ging, um sein Glück zu suchen,
und sie haben ihn nie wieder gesehen.» Marietta blickte
zwischen ihrem Mann und dem Fremden hin und her,
und allmählich ging ihr ein Licht auf.
«Dann», schloss Niccolo, «nach langen Jahren verräterischer Taten gegen sein Land und gegen seinen Gott, die
seine Seele zur Hölle verdammten und seinem Leib das
Streckbett verdienten, kehrte Argalia, der Pascha - Arcalia, Arqalia, Al-Ghaliya, selbst der Name war zur Lüge
geworden -, an jenen Ort zurück, der nicht länger seine
Heimat war.»
Il Machia war kein besonders religiöser Mensch, aber er
war ein Christ. Er mied sonntags die Messe, hielt aber
alle anderen Religionen für falsch. Er fand, dass die
Päpste für die meisten Kriege seiner Zeit verantwortlich
waren, und hielt viele Bischöfe und Kardinäle für Kriminelle, nur gefiel den Kardinälen und Päpsten besser als
den Fürsten, was er über die Natur der Welt zu sagen
hatte. Vor seinen Saufkumpanen schimpfte er darüber,
wie sehr die Korruption der Kurie dem Glauben der Italiener schadete, doch war er kein Ketzer, ganz gewiss
nicht, und auch wenn er bereitwillig das ein oder andere
von der Herrschaft des muselmanischen Sultans lernte,
sie sogar lobte, wurde ihm doch schon von dem Gedanken übel, man könne freiwillig in die Dienste eines solchen Potentaten treten.
Und dann war da noch die Sache mit dem Gedächtnispalast, dieser schönen Frau, Angelique Cceur de Bourges,
Herz eines Engels, deren Geist und Körper so malträtiert
worden waren, dass sie keinen anderen Ausweg gesehen
hatte, als durch ein Fenster in den Tod zu springen. Aus
naheliegendem Grund konnte diese Angelegenheit nicht
in Anwesenheit seines Weibes zur Sprache gebracht werden, denn Marietta neigte zur Eifersucht, eine Charakterschwäche, an der er nicht unschuldig war, war er doch
ein alter Mann voller Liebe, nur eben nicht für seine
Frau, die er jedenfalls nicht auf diese Weise liebte, sondern für das Mädchen Barbera Raffacani Salutati, eine
Altistin, die so herrlich sang und auch sonst manches gar
wundervoll anzustellen wusste, und dies nicht bloß auf
der Bühne, ja, Barbera, Barbera, ach. Nicht mehr so jung
wie einst, doch immer noch jünger als er selbst und
unerklärlicherweise bereit, in Zeiten ihrer blühenden
Schönheit einen grauhaarigen Alten zu lieben … Kurz
und gut, wollte er derlei zur Sprache bringen, schien es
ihm angesichts der möglichen Konsequenzen besser, sich
vorläufig auf die Fragen von Blasphemie und Verrat zu
konzentrieren.
«Edler Pascha}}, grüßte er seinen Jugendfreund, die buschigen Augenbrauen zu spitzer Missbilligung hochgezogen, «was führt einen Heiden hierher in dieses christliche Land?»
«Ich möchte um einen Gefallen bitten», erwiderte Argalia, «doch nicht für mich.»
Über eine Stunde saßen die beiden Jugendfreunde allein
in Il Machias Schreibstube, umgeben von Büchern und
Papierstapeln. Es wurde bereits dunkel. Viele Dorfbewohner zogen sich zurück, da sie sich um ihre eigenen
Angelegenheiten kümmern mussten, viele aber blieben
auch. Reglos saßen die Janitscharen auf ihren Rössern,
ebenso die beiden Damen, die nur eine Schale Wasser
von der Magd der Machiavelli entgegennahmen. Als
schließlich die Nacht anbrach, traten die beiden Männer
aus dem Haus, und es war nicht zu übersehen, dass sie
eine Art Waffenstillstand geschlossen hatten. Auf ein
Zeichen von Argalia saßen die Janitscharen ab, und Argalia half Qara Köz und Spiegel eigenhändig von den
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