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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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ihrer
Gedanken. Die Kleinen waren Augen, Ohren, Münder
und süßer Atem in der Nacht. Sie waren nebensächlich.
Sie hatte allein ihren Mann im Blick, ihren Gatten, den
Mann im Exil, der immer noch nicht verstand, was im
Leben wirklich zählte, den selbst das strappado den wahren Wert der Liebe und der Einfachheit nicht lehren
konnte, ja, nicht einmal die Verleumdung seines ganzen
Lebens und Wirkens durch die Bürgerschaft, deren
Dienst er sich verschrieben hatte, konnte ihn lehren, dass
es besser war, Liebe und Treue jenen zukommen zu lassen, die einem nahestanden, als sie an die allgemeine
Öffentlichkeit zu verschwenden. Er hatte eine gute Frau,
sie war ihm ein liebendes Weib, und doch musste er einem billigen jungen Flittchen nachsteigen. Er war würdevoll und gebildet, ihm gehörte ein kleines, zum Leben
ausreichendes Landgut, doch schrieb er weiterhin jeden
Tag entwürdigende Briefe an den Hof der Medici, bettelte unterwürfig um eine öffentliche Anstellung. Es waren
kriecherische Briefe, die diesem düsteren, skeptischen
Genie nicht geziemten, seelenschmälernde Worte. Er
verachtete, was er schätzen sollte: das bescheidene väterliche Erbteil, den Grund und Boden, die Häuser, diese
Wälder und Felder sowie seine Frau, die züchtige Göttin
seines Erdenwinkels.
    Die einfachen Dinge. Die schlagende Drossel vor dem
Morgengrauen, die schwer tragenden Weinreben, die
Tiere, der Hof. Hier fand er Zeit, zu lesen und zu schreiben, konnte die Kraft seines Geistes mit der eines jeden
Fürsten messen. Sein Verstand war das Beste an ihm,
damit vermochte er alles Bedeutsame zu erfassen, doch
schien er in seiner verzweifelten Enttäuschung, seiner
schmerzlich empfundenen Verbannung nur an neue Herbergen für seinen Schwanz denken zu können. Zumindest
daran, ihn in jener besonderen Herberge unterzubringen,
in der von Barbera nämlich, dieser singenden Kokotte.
Wurde sein neues Theaterstück tiber die Alraune in dieser oder jener Stadt aufgeführt, sorgte er dafür, dass Barbera in den Pausen singen durfte, damit sie dem Publikum die Wartezeit verkürzte. Es war ein Wunder, dass es
nicht angewidert und mit zugehaltenen Ohren den Saal
verließ. Ein Wunder war es auch, dass seine treue Frau
ihm noch kein Gift in den Wein geschüttet hatte, so wie
es ein Wunder war, dass Gott solch schamlose Dirnen
wie Barbera gedeihen ließ, während gute Frauen darbten
und alt wurden.
«Aber», sagte sich Marietta, «vielleicht haben diese jaulende Kuh und ich nun etwas gemeinsam. Vielleicht
müssen wir jetzt über dieses neue Problem reden, über
die Hexen, die zu uns gekommen sind, um unsere glückliche Florentiner Lebensart zu stören.»
    Es zählte zu Niccolos Angewohnheiten, Abend für
Abend mit den mächtigen Toten in ebendiesem Raum
Zwiesprache zu halten, in dem er nun seinem Jugendfreund von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, um
zu sehen, ob er die Feindseligkeit, die er in sich aufkommen spürte, zu bezwingen vermochte oder ob es ihr
Schicksal war, für den Rest ihres Lebens Gegner zu bleiben. Lautlos bat er die Toten um Rat. Mit den meisten
Helden und Bösewichten der Alten Welt, den Philosophen wie den Männern der Tat, stand er auf vertrautem
Fuß. War er allein, umdrängten sie ihn, argumentierten,
erklärten oder nahmen ihn auf einen ihrer unsterblichen
Feldzüge mit. Wenn er Nabis vor sich sah, Anführer der
Spartaner, wie er die Stadt gegen Rom und auch das übrige Griechenland verteidigte, wenn er den Aufstieg des
Sizilianers Agathokles verfolgte, Sohn des Töpfers, der
allein durch seine Verschlagenheit zum König von Syrakus wurde, oder wenn er mit Alexander von Mazedonien
gegen Darius den Großen von Persien ritt, dann spürte er,
wie sich die Vorhänge seines Geistes teilten und die Welt
klarer wurde. Die Vergangenheit war ein Licht, das, entsprechend ausgerichtet, die Gegenwart heller erleuchtete
als jede moderne Lampe. Wie die heilige olympische
Flamme wurde Größe von Großem zu Großem weitergereicht. Alexander nahm sich Achilles zum Vorbild, Caesar folgte Alexanders Fußspuren - und so weiter. Verständnis war auch eine solche Flamme. Wissen entsprang
nie einfach nur dem menschlichen Geist; stets wurde es
wiedergeboren. Die Weitergabe der Weisheit von einem
Zeitalter ans nächste, ein Zyklus der Wiedergeburt: Das
war Weisheit. Alles andere war Barbarei.
Nur waren die Barbaren überall, und überall waren sie
siegreich.
Die Schweizer, die Franzosen, die Spanier,

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