Rushdie Salman
Nacht war er am Leben. Mit Liebkosungen und Ölen
bereitete Spiegel ihn für sie vor. Bei Mondlicht sah sie,
wie sein fahler Körper unter den Berührungen ihrer Dienerin erblühte. Fast glich er mit seinem langen Haar
selbst einer Frau, die Hände so lang, die Finger so
schlank, die Haut so unglaublich weich. Sie schloss die
Augen und hätte nicht sagen können, wer von den beiden
sie berührte, seine Hände so sanft wie die ihres Spiegels,
das Haar beinahe gleich lang, die Zunge ebenso erfahren.
Er wusste wie eine Frau zu lieben. Und Spiegel konnte
mit ihren brutalen Fingern hart zustechen wie ein Mann.
So sehnig, so geduldig, seine Berührungen so leicht, das
war es, weshalb sie ihn liebte. Die Schatten waren jetzt in
eine Ecke gedrängt, und der Mond schien herab auf drei
sich windende Leiber. Sie liebte ihn, und sie diente ihm.
Sie liebte Spiegel, diente ihr aber nicht. Spiegel liebte sie
und diente ihnen beiden. Heute Abend kam es nur auf die
Liebe an. Morgen war vielleicht etwas anderes wichtiger,
aber morgen war morgen. «Meine Angelica», sagte er.
«Hier ist Angelica, Angelica ist hier», erwiderten die
beiden Frauen. Dann leises Lachen, Stöhnen, ein überlauter Schrei und kurzes Glucksen.
Sie erwachte vor dem Morgengrauen. Er lag in tiefem
Schlaf, im schweren Schlaf eines Mannes, dem viel abverlangt wird, sobald er erwacht, und sie sah zu, wie er
atmete. Spiegel schlief ebenfalls noch. Qara Köz lächelte.
Meine Angelica, flüsterte sie auf Italienisch. Die Liebe
zwischen den beiden Frauen war von größerer Dauer als
diese Sache zwischen Mann und Frau. Sie streichelte
über die Haare der beiden, so lang, so schwarz. Dann
drang von draußen Lärm herein. Ein Besucher. Die
Schweizer Riesen stellten sich ihm in den Weg. Sie hörte
den Herrn des Hauses vortreten und die Lage erklären.
Sie konnte ihn vor sich sehen, diesen Niccolo, diesen
großen Mann in der Stunde seiner Niederlage. Vielleicht
würde er dereinst wieder aufsteigen, wieder ein bedeutsamer Mann werden, doch im Haus der Niederlage hatte
sie nichts verloren. Die Größe des bezwungenen Mannes
war auf Anhieb zu erkennen, Größe des Intellekts und
vielleicht auch der Seele, doch hatte er seinen Kampf
verloren, folglich war er nichts für sie, konnte er nichts
für sie sein. Sie baute jetzt vollständig auf Argalia, zählte
auf seinen Erfolg, und wenn er erfolgreich war, würde sie
mit ihm aufsteigen, sich mit ihm emporschwingen. Wenn
sie ihn aber verlor, würde sie herzzerreißend um ihn
trauern, würde untröstlich sein und dann tun, was getan
werden musste. Sie würde ihren Weg gehen. Was immer
heute auch geschehen mochte, sie würde bald genug ihre
Reise zum Palast antreten, denn sie war eine Frau für
Paläste - und für Könige.
Die Vögel hüpften in die Käfige und blieben an den mit
Leim überzogenen Ulmenzweigen kleben. Ago und n
Machia griffen sie sich und brachen ihnen die kleinen
Hälse. Später würden sie einen köstlichen Singvogeleintopf essen. Das Leben konnte ihnen doch noch einiges
Vergnügen bieten, zumindest bis zum Ende des Drosselzugs. Mit zwei Säcken voller Vögel kehrten sie ins La
Strada zurück zu einer glücklichen Marietta, die sie mit
zwei Glas guten Rotweins erwartete. Argalia war mit
seinen Männern bereits fortgeritten, hatte aber den Serben Konstantin und ein Dutzend seiner Janitscharen für
den Fall zurückgelassen, dass die Damen verteidigt werden mussten; folglich würde es also noch eine Weile
dauern, bis Ago den Wanderer wiedersehen würde. Kurz
spürte er einen Stich des Bedauerns. Niccolo hatte die
Verwandlung ihres alten Freundes in eine fast weibische,
doch höchst grimmige, orientalische Verkörperung des
Todes beschrieben - «Argalia, der Türke», wie ihn die
Dorfbewohner bereits nannten, gerade so, wie er es vor
langer Zeit an jenem Tag prophezeit hatte, an dem er als
junger Mann aufgebrochen war, sein Glück zu suchen -,
und Ago hatte sich auf diesen exotischen Anblick gefreut. Dass Argalia tatsächlich mit den vier Schweizer
Riesen aus seinem Traum heimgekehrt war, fand er
schließlich schon unglaublich genug.
Dann hörte Ago Vespucci Schritte auf der Treppe; er
blickte auf, und es war, als existierte Argalia nicht länger.
Er hatte sich selbst sagen hören, dass es bis zu diesem
Augenblick nie wahrhaft schöne Frauen auf der Welt
gegeben habe, dass Simonetta Vespucci und Alessandra
Fiorentina nur blasse Mauerblümchen seien, doch die
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