Rushdie Salman
Medici-Herzog wäre wie ein Dieb aus der
eigenen Stadt geschlichen, bloß um jemanden zu treffen,
den man vielleicht in die eigenen Dienste aufnehmen
wollte. Dass Herzog Giuliano sich trotzdem dafür entschieden hatte, bewies, wie sehr er einen starken Mann
an seiner Seite brauchte, jemanden, der ihm Selbstvertrauen schenkte. Einen Mann des Militärs. Einen Tulpengeneral für die Verteidigung der Blumenstadt. Höchste
Zeit, dass die Stelle besetzt wurde.
Bei flackerndem gelbem Lampenlicht nahm Argalia in
seinem Zelt die Edelleute genauer in Augenschein. Herzog Giuliano, diese blasse Brut von Lorenzo de’ Medici,
war Mitte dreißig, hatte ein langes, trauriges Gesicht und
wirkte ein wenig kränklich. Er würde wohl kaum ein
hohes Alter erreichen. Zweifellos war er ein Liebhaber
von Literatur und Kunst, zweifellos ein Mann von Geist
und Kultur, also eine Belastung im Kampf. Es wäre besser, er bliebe daheim und überließe das Kämpfen jenen,
die es konnten, jenen, für die das Kämpfen Kultur und
Töten eine Kunst war. Der Neffe, ebenfalls ein Lorenzo,
zog ein grimmiges Gesicht und war ein Mann von dunkler Haut und großspurigem Gehabe, einer von diesen
vielen tausend zwanzigjährigen Großmäulern in Florenz,
sagte sich Argalia. Ein junger Bursche, voll im Saft stehend und von sich selbst überzeugt. Kein Mann, auf den
man sich im Handgemenge verlassen durfte.
Argalia hatte alle Argumente parat. Am Ende seiner langen Reisen, sagte er, habe er Folgendes eingesehen: dass
Florenz überall und überall Florenz sei. Überall auf der
Welt gebe es omnipotente Fürsten, Medici, die führten,
weil sie schon immer Führer gewesen waren, und die
einfach bestimmten, was als Wahrheit zu gelten hatte.
Überall gebe es auch Jammerer (Argalia hatte die Zeit
der Jammerer in Florenz verpasst, doch hatten sich die
Neuigkeiten über den Mönch Savonarola und dessen Anhänger rasch verbreitet,, Jammerer, die führen wollten,
weil sie glaubten, eine höhere Macht habe ihnen verraten,
was tatsächlich die Wahrheit sei. Und überall gebe es
Menschen, die zu führen meinten, obwohl sie es nicht
taten, und diese letzte Gruppe war so nicht übersehen
ließ. Allerdings - und da saß der Haken in Argalias Argumentation - waren die Spanier mittlerweile bei allen
Italienern derart verhasst, dass es für die Medici äußerst
unklug gewesen wäre, noch einmal ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Also brauchte die Stadt einen Trupp
kriegserprobter Männer, der in der florentinischen Miliz
die Führung übernahm und ihr zu Rückgrat und Ordnung
verhalf, woran es so offensichtlich gemangelt hatte, zu
Kampfesgeist, den Niccolo, der von Natur aus Bürokrat
und kein Mann des Krieges war, ihnen so gar nicht hatte
vermitteln können.
Indem er sich so sorgsam von seinem in Ungnade gefallenen alten Freund distanzierte, erstritt sich Argalia, der
Türke, die Stelle eines condottiere von Florenz. Er war
angenehm überrascht, als er hörte, dass er auf Dauer bestallt wurde statt nur für einen begrenzten Zeitraum von
wenigen Monaten. Manche seiner Kriegskameraden
wurden in jener Zeit, in der es mit den condottieri bereits
zu Ende ging, für gerade mal drei Monate angeheuert,
und die Bezahlung war an ihren militärischen Erfolg geknüpft. Argalia dagegen erhielt nach damaligen Maßstäben ein ganz ordentliches Gehalt, und darüber hinaus
schenkte Herzog Giuliano seinem Oberbefehlshaber eine
prächtige Residenz an der Via Porta Rossa samt Personal
und großzügig bemessenem Wirtschafts-geld. «Admiral
Doria muss mich ja wirklich in den höchsten Tönen gelobt haben», sagte Argalia zu Herzog Giuliano, als er
diese vorteilhaften Bedingungen annahm.
«Er sagte, Ihr wäret das einzige barbarische Arschloch,
dem er weder an Land noch auf See begegnen möchte,
auch wenn Ihr nackt wie ein unbeschnittener Säugling
wärt und nur ein Küchenmesser in der Hand hieltet»,
erwiderte der Herzog charmant.
Legenden zufolge besaß die Familie Medici einen Zauberspiegel, der dem jeweils herrschenden Herzog das
Bild der begehrenswertesten Frau der bekannten Welt
zeigte, und in ebendiesem Spiegel hatte der am Tag der
pazzi-Verschwörung ermordete Giuliano de’ Medici, der
Onkel des jetzigen Herrschers, zum ersten Mal das Gesicht von Simonetta Vespucci gesehen. Nach ihrem Tod
jedoch war der Spiegel erblindet, als weigerte er sich, die
Erinnerung an Simonetta mit dem Bild einer geringeren
Schönheit zu beflecken. In jenen
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