Rushdie Salman
Zungen so flink wie die von Fischweibern am
Markttag, und während sie auf Il Machia warteten, der
wieder ins Haus gegangen war, um Ulmenzweige in kleinen Käfigen mit Vogelleim zu bestreichen, versorgten
Otho, Botho, Clotho und D’ Artagnan seinen Freund derart lebhaft mit Informationen, dass er spürte, wie sich
nach langer, geschlechtsloser Zeit zum ersten Mal wieder
sexuelles Verlangen in ihm regte. Offenbar waren diese
Frauen wirklich einen Blick wert. Endlich kam Niccolo;
mit seinen leeren, auf den Rücken geschnallten Käfigen
sah er fast wie ein bankrotter Hausierer aus, als die beiden Freunde sich auf den Weg in den Wald machten.
Der Nebel hob sich. «Wenn der Zug der Drosseln erst
vorüber ist», sagte Il Machia, «können wir beide uns
nicht einmal mehr auf die Vogeljagd freuen.» Dann aber
schimmerte ein Licht in seinen Augen, das darin schon
eine ganze Weile nicht mehr zu sehen gewesen war, und
Ago erwiderte: «Sie sind also wirklich so toll, wie?»
Sogar Il Machias Grinsen war wieder da. «Weißt du, was
seltsam ist?», sagte er. «Selbst meine Frau hat aufgehört,
ständig an mir herumzunörgeln.»
In dem Augenblick, in dem Prinzessin Qara Köz und ihr
Spiegel das Haus der Machiavelli betraten, fing Marietta
Corsini an, sich töricht vorzukommen. Ein köstlicher,
bittersüßer Duft zog vor den beiden ausländischen Frauen
her durch das Haus und verbreitete sich rasch über alle
Flure, wehte die Treppe hinauf, drang in jeden Winkel,
und als Marietta diesen schweren Duft einatmete, fand
sie plötzlich, dass ihr Leben eigentlich gar nicht so beschwerlich war, wie sie irrigerweise bislang geglaubt
hatte, da ihr Mann sie doch liebte, ihre Kinder gute Kinder und die Besucherinnen gewiss die vornehmsten Gäste
waren, die zu empfangen sie je die Ehre gehabt hatte.
Argalia, der darum gebeten hatte, vor dem Ritt in die
Stadt eine Nacht im Haus ruhen zu dürfen, sollte in 11
Machias Arbeitsstube auf dem Sofa schlafen; Marietta
zeigte der Prinzessin das Gästezimmer und fragte ein
wenig verlegen, ob ihre Dienerin die Nacht in eine der
Kinderkammern zu verbringen wünsche. Qara Köz legte
ihrer Wirtin einen Finger auf die Lippen und murmelte
ihr ins Ohr: «Dieses Zimmer reicht für uns beide.» In
eigenartig glückseliger Verfassung ging Marietta darauf
zu Bett, und als ihr Mann sich zu ihr legte, erzählte sie
ihm vom Entschluss der beiden Damen, gemeinsam in
einem Bett zu schlafen, und klang dabei gar nicht mal
sonderlich schockiert. «Denk nicht weiter an diese Frauen», sagte ihr Mann, und Mariettas Herz hüpfte vor Freude. «Die Frau, die ich will, ist gleich hier an meiner Seite.» Das ganze Zimmer war erfüllt vom bittersüßen Duft
der Prinzessin.
Kaum aber waren die beiden Frauen in ihrem Zimmer
und hatten die Tür geschlossen, spürte Qara Köz, wie sie
völlig unerwartet in einer Flut existentieller Angst zu
ertrinken drohte. Von Zeit zu Zeit überfiel sie eine solche
Traurigkeit, doch hatte sie nie gelernt, sich dagegen zu
wappnen. Ihr Leben war eine Abfolge freier Willensentscheidungen gewesen, manchmal aber geriet sie ins
Wanken und fürchtete zu versinken. Sie hatte ihr Leben
darauf gebaut, dass sie von Männern geliebt wurde, darauf, dass es ihr stets gelang, diese Liebe zu wecken, wann
immer sie es wollte, doch wenn sich ihr die allerdunkelsten Fragen stellten, wenn sie ihre Seele schaudern spürte,
wenn sie unter dem Gewicht ihrer Isolation und ihres
Verlustes zu zerbrechen meinte, dann konnte ihr die Liebe keines Mannes helfen. Und so begriff sie, dass das
Schicksal sie unvermeidlich vor die Wahl zwischen ihrer
Liebe und ihrem Leben stellen würde, und wenn eine
solche Krise anbrach, durfte sie keinesfalls die Liebe
wählen. Tat sie das, brachte sie sich in tödliche Gefahr.
Das Überleben aber stand an erster Stelle.
Dies war die unvermeidliche Folge jenes Schrittes, mit
dem sie damals ihre natürliche Umgebung verlassen hatte. An dem Tag, an dem sie sich weigerte, mit ihrer
Schwester Khanzada an den Hof der Moguln zurückzukehren, hatte sie nicht nur gelernt, dass eine Frau ihren
eigenen Weg zu wählen vermag, sondern auch, dass eine
solche Wahl Folgen nach sich zieht, die nie wieder aus
dem Buch des Lebens zu tilgen sind. Sie hatte ihre Wahl
getroffen, und was daraus folgte, das folgte eben daraus;
sie empfand keinerlei Bedauern, nur litt sie hin und wieder unter schrecklichen Angstattacken. Diese Angst
schüttelte und beutelte sie wie der
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