Rushdie Salman
behafteten, so lautete eines ihrer
Gesetze.
Es war wichtig, nicht gegen die Gesetze der Magie zu
versto-ßen. Wenn man von einer Frau verlassen wurde,
dann geschah dies, weil man sie nicht mit dem richtigen
Zauber umgarnt hatte, weil jemand anders einen stärkeren Zauberspruch kannte oder weil die Ehe unter einem
derart starken Fluch stand, dass dieser Fluch das Band
der Liebe zwischen Mann und Frau zerschnitt. Warum
war Der-und-der erfolgreich im Beruf, nicht aber So-undso? Weil er den richtigen Zauber kannte. Etwas im Herrscher rebellierte gegen diesen ganzen Humbug, denn es
kam doch einer Infantilisierung gleich, wenn man die
Macht der eigenverantwortlichen Wirksamkeit aufgab
und glaubte, solche Macht gründe nicht innerhalb, sondern außerhalb von einem selbst. Den gleichen Einwand
brachte er auch gegen Gott vor, dass nämlich dessen
Existenz den Menschen um das Recht brachte, eigene
ethische Strukturen schaffen zu können. Doch Magie war
überall und konnte nicht abgestritten werden; zudem wäre er ein unbesonnener Herrscher, wenn er sich darüber
lustig machte. Religion ließ sich überdenken, analysieren
und ändern, vielleicht sogar abschaffen; Angriffe auf die
Magie aber blieben wirkungslos. Ebendeshalb beschäftigte die Geschichte von Qara Köz ja die Phantasie der
Bewohner Sikris. Die verschwiegene Prinzessin hatte
ihre Magie, die Magie ihres Volkes, in eine andere Welt
gebracht, eine Welt mit ihrem eigenen Zauber, und die
Hexenkraft von Qara Köz war stärker gewesen, ihre Zauberkunst, der nicht einmal er, der Herrscher, widerstehen
konnte.
Die offenen magischen Fragen hinsichtlich des Fremdlings Niccolo Vespucci, dieses selbsternannten Moguls
der Liebe, ließen sich wie folgt umschreiben: War seine
Anwesenheit am Hofe ein Segen oder ein Fluch? Würde
seine Erhebung zu höherem Rang für das Reich zum
Vorteil sein, oder würde sie irgendein dunkles Gesetz der
Fortune verletzen und folglich ein Unglück für seine
Herrschaft nach sich ziehen? War Fremdheit an sich etwas, das man als eine belebende Kraft begrüßen sollte,
die ihren Anhängern Erfolg und Reichtum versprach,
oder verfälschte sie Wesentliches im Einzelnen wie in
der Gesellschaft als Ganzes, setzte sie einen Verfallsprozess in Gang, der mit einem entfremdeten, unauthentischen Tod endete? Der Herrscher hatte bei den Wächtern
der unsichtbaren Reiche Rat geholt, bei Handdeu-tern,
Astrologen, Weissagern, Mystikern und anderen Weisen,
an denen es in der Hauptstadt niemals mangelte, vor allem nicht rund um das Grabmal von Salim Chishti, doch
war ihr Rat widersprüchlich ausgefallen. Die Meinung
von Pater Acquaviva und Monserrate, der europäischen
Landsleute des Fremden, hatte er erst gar nicht erfragt, da
deren feindselige Haltung zum Geschichtenerzähler allgemein bekannt war. Und Birbal, ach, sein geliebter,
weiser Birbal, war nicht mehr.
Letzten Endes also blieb es ihm allein überlassen. Nur er
konnte entscheiden.
Der Tag ging zu Ende, und er hatte keine Entscheidung
getroffen. Um Mitternacht meditierte er unter dem
Halbmond. Er kam zu ihm, ganz in Silber, lautlos und
leuchtend.
Schließlich wurde Jodha für viele Menschen unsichtbar.
In ih-ren Diensten stehendes Personal konnte sie natürlich sehen, deren Lebensunterhalt hing schließlich davon
ab, doch die übrigen Königinnen, die schon immer etwas
gegen ihre Anwesenheit gehabt hatten, nahmen sie kaum
mehr wahr. Jodha wusste, dass Schlimmes mit ihr geschah, und hatte schreckliche Angst. Sie fühlte sich
schwächer, und manchmal, von Zeit zu Zeit, gleichsam
auch periodisch, so als käme und ginge sie, als würde ihr
Lebenslicht gelöscht, wieder angezündet, dann erneut
gelöscht und aufs Neue angezündet. Birbal war tot, und
sie schwand dahin, dachte Jodha. Die Welt wandelte sich
zum Schlechteren. Der Herrscher suchte sie dieser Tage
immer seltener auf, und wenn er kam, wirkte er abwesend. Sie hatte sogar den Eindruck, dass er an jemand
anderen dachte, wenn er sie liebte.
Der spionierende Eunuch Umar der Ayyar, der alles sah,
auch so manches, was noch gar nicht geschehen war, traf
sie in der Hitze des Nachmittags an, als sie sich in der
Kammer des Windes ausruhte, dem luftigen Zimmer im
zweiten Stock, in dem drei der vier Wände jalis zierten,
filigran durchbrochenes Mauerwerk. Es war der Tag nach
dem Geburtstag des Herrschers, und von den Bewegungen des Eunuchen ging etwas seltsam Drängendes aus,
obwohl ihn doch sonst eher träge Anmut und
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