Rushdie Salman
existierte, sondern auch eine echte
Frau von den Toten zurückgeholt. Die vielen Familien,
die fasziniert den Erzählungen über die verschwiegene
Prinzessin gelauscht hatten, Erzählungen, aus denen
rasch Geschichten geworden waren, die Eltern abends
ihren Kindern erzählten, diese Familien begeisterte die
Aussicht, Qara Köz vielleicht bald in der Öffentlichkeit
sehen zu können. Einige konservative Stimmen sprachen
von einem Skandal und beharrten darauf, dass Qara Köz
einen Schleier tragen müsse, sooft sie die königlichen
Frauengemächer verlasse, und dass die nacktgesichtige
Schamlosigkeit, der sie offenbar auf den Straßen im Westen gefrönt habe, für das anständige Volk der Moguln
nicht hinnehmbar sei.
Die Selbstverständlichkeit, mit der dieser übernatürliche
Vor-fall akzeptiert wurde, verdankte sich natürlich der
Tatsache, dass Derartiges nichts Besonderes war, damals,
als das Reale und das Irreale noch nicht auf immer getrennt und genötigt waren, unter verschiedenen Monarchen und in verschiedenen Rechtssystemen zu leben.
Überraschender war dagegen schon der Mangel an Mitgefühl für die unglückselige Jodhabai, die auf so brüske
Manier vom Herrscher fallengelassen wurde und in der
Kammer der Winde vor den Augen der Königinmutter
und der Ersten Königin auf derart demütigende Weise
ersetzt worden war. Einige Stadtbewohner waren nicht
sonderlich gut auf Jodha zu sprechen, weil sie sich stets
geweigert hatte, den Palast zu verlassen. Ihre Entmaterialisierung sahen diese Leute daher als wohlverdiente Strafe dafür an, dass sie über die Maßen arrogant und nicht
sonderlich volksnah gewesen war. Qara Köz wurde zur
Prinzessin des Volkes, Jodha wäre für derlei eine viel zu
reservierte, distanzierte Königin gewesen.
All dies berichtete Umar der Ayyar seinem Herrscher,
fügte aber auch eine Warnung hinzu. Längst nicht alle
Reaktionen auf die Neuigkeit seien positiv gewesen. Im
Bezirk der Turani, im persischen Viertel und in jener
Gegend, in der die indischen Muslime lebten, mache sich
ein gewisses Maß an Ruhelosigkeit bemerkbar. Unter den
nichtislamischen Polytheisten, die zu viele Götter besaßen, um sie aufzählen zu können, sorgte die Ankunft eines weiteren wundersamen Wesens kaum für Aufregung,
war doch die Versammlung der Götter bereits zu groß,
um jeden einzelnen auch nur kennen zu können, denn in
allem wohnte ein Gott, in Bäumen lebten Geister, auch in
Flüssen, weiß der Himmel, wo noch, bestimmt gab es
auch einen Müllgott und einen Gott der Toilette, jedenfalls war eine weitere spirituelle Wesenheit kaum der
Rede wert. Auf den Straßen des Monotheismus dagegen
löste Qara Köz’ Erscheinen einen ziemlichen Schock aus.
Leises Gemurmel setzte ein, ein Gemurmel, das nur die
spitzesten Ohren wahrnahmen, ein Gemurmel, das die
geistige Gesundheit des Herrschers in Frage stellte. In
Badaunis geheimem Journal, das Umar weiterhin Abend
für Abend auswendig lernte, während der Anführer der
manqul-Partei schlief, war plötzlich die Rede von Blasphemie, denn man könne zwar behaupten, es verstoße
gegen kein göttliches Gesetz, wenn Menschen ihre
Träume Wirklichkeit werden ließen, weshalb die Schöpfung Jodhas vielleicht noch keine Schandtat sei, doch nur
der Allmächtige habe die Macht über die Lebenden und
die Toten, weshalb der Herrscher, wenn er eine Frau zum
eigenen Vergnügen vom Tode erwecke, zu weit gehe,
viel zu weit; dafür gebe es keine Entschuldigung.
Was Badauni insgeheim aufschrieb, murmelten seine
Anhän-ger sich zu. Allerdings blieb der Geräuschpegel
dieses Gemur-mels recht niedrig, da, wie schon das alte
Sprichwort sagt, am Hof des Großmoguls nur die Kniefälligsten nicht hinfielen. Dennoch bestand nach Ayyars
Ansicht Grund zur Sorge, denn unterhalb des niedrigen
Geräuschpegels hatte er auf flachstem Niveau ein weit
bedrohlicheres Gemurmel vernommen, eine viel schlimmere Verdammung der neuen Beziehung zwischen Akbar und Qara Köz. Auf diesem tiefen Niveau konnte
Umar nur einige schwache Laute aufschnappen, Laute,
die es kaum wagten, laut zu werden, von Lippen gesprochen, die sich kaum bewegten und sich entsetzlich vor
Lauschern fürchteten. In diesen quasi präau-ditiven Vibrationen kam ein Wort vor, das mächtig genug war, der
allgemeinen Wertschätzung, die der Herrscher genoss,
ernsthaften Schaden zuzufügen, ja, seinen Thron vielleicht sogar ins Wanken zu bringen.
Dieses Wort war Inzest. Und Umars Warnung
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