Rushdie Salman
wird er wieder Euer Sklave sein, und der Sieg der
Dämonin über den Herrn von Fatehpur Sikri lässt sich
vielleicht noch verhindern. Denn Qara Köz ist, dessen
sind wir gewiss, ein böser Geist aus der Vergangenheit,
ein Rachegeist, der gegen sein langes Exil aufbegehrt und
den Herrscher durch die Zeit zurücksaugen will, um ihn
zu besitzen und ihn zu unser aller Schaden zu vernichten.
Jedenfalls wäre es besser, uns bliebe, wenn denn überhaupt möglich, der Anblick eines Herrschers von Hindustan erspart, des Königs der Manifestation und der Wirklichkeit, des Mannes mit makellosem Körper, des Herrn
über den Glauben und das Firmament, der in das Phantom seiner abtrünnigen und zudem längst dahingeschiedenen Großtante vernarrt ist.»
«Denkt daran, was mit dem Maler Dashwanth passiert
ist», warf die Königinmutter ein.
«Ganz recht», stimmte ihr Mariam-uz-Zamani zu. «Wir
mögen uns damit abfinden, einen Künstler auf diese Weise zu verle-gen, den Schirmherrn der Welt aber können
wir nicht verlieren.»
Sie konnten die Frau tatsächlich nicht sehen, zu der sie
spra-chen, doch waren sie gewillt, sich auf ihren Teppichen niederzulassen, sich auf ihren Polstern zu rekeln,
den Wein zu trinken, den ihre Mägde ihnen anboten, und
der leeren Luft die sexuellen Geheimnisse der Frauen
aller Zeiten zu verraten. Nach einer Weile schwand das
Gefühl, sie hätten ihren Verstand verloren, und sie taten,
als wären es sie allein, nur sie beide, die sich miteinander
unterhielten und offen über das sprachen, was stets nur
unter dem Siegel der Verschwiegenheit weitergegeben
worden war, nur sie beide, die hilflos über die schockierende Komödie des Begehrens lachen mussten, über die
absurden Dinge, die Männer wollen, und die ebenso absurden Dinge, die Frauen taten, um sie zufriedenzustellen, bis die Jahre von ihnen abfielen und sie sich an ihre
eigene Jugend erinnerten, daran, wie ihnen diese Geheimnisse dereinst von anderen grimmigen, ernst dreinblickenden Frauen erzählt worden waren, die sich nach
einer Weile dann ebenfalls in brüllendem Gelächter gekrümmt hatten, bis das Gelächter im Raum zu guter Letzt
das Gelächter von Generationen war, das Gelächter aller
Frauen und der Geschichte.
Auf diese Weise unterhielten sie sich fünfeinhalb Stunden, und als sie zum Ende kamen, fanden sie, es war der
schönste Tag ihres Lebens gewesen. Sie begannen,
freundlichere Empfindungen als je zuvor für Jodha zu
hegen. Sie war jetzt eine von ihnen, Teil der Frauenriege,
und nicht mehr nur allein des Herrschers Geschöpf. In
gewisser Weise war sie jetzt auch die Ihre.
Es dämmerte. Die Kerzenlakaien kamen mit Kampferkerzen in silbernen Kerzenständern. Fackelschalen in
eisernen Halterungen an der Rückwand des Zimmers
wurden entzündet, und lustig flackerte die Flamme über
dem Baumwollsamenöl, sodass die Schatten der hohen
Damen über den roten Stein der jalis tanzten. In einem
anderen Teil von Sikri aber änderte sich des Herrschers
Phantasie, sein khayal, ein letztes Mal, und Umar der
Ayyar hielt in der Kammer der Winde den Atem an. Einen Augenblick später sahen die Maria der Ewigkeit und
die Maria des Hauses, was er gesehen hatte: nicht nur den
Schatten einer dritten Frau vor den jalis, sondern klare
Konturen, die sich aus dünner Luft formten, deutlicher
wurden, sichtbarer, die sich füllten, bis eine Frau vor
ihnen stand, auf den Lippen ein eigenartiges Lächeln.
«Ihr seid nicht Jodha», entfuhr es der Königinmutter
matt. «Nein», erwiderte die Erscheinung mit schwarzen,
funkelnden Augen. «Jodhabai ist fort, der Herrscher hat
für sie keine Verwendung mehr. Ich werde von nun an
seine Gefährtin sein.» So lauteten die ersten Worte des
Phantoms.
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen der beiden Königinnen
verbreitete sich in Windeseile die Neuigkeit in der ganzen Stadt, das Phantom Qara Köz habe die imaginäre
Königin Jodhabai verdrängt. Für manche war dies der
endgültige Beweis dafür, dass die verschwiegene Prinzessin tatsächlich einst existiert hatte, dass sie ins Reich
der Fakten, nicht ins Reich der Fiktionen gehörte, denn
eine Frau, die nie am Leben gewesen war, konnte auch
keinen Geist haben. Für andere stärkte es dagegen Abul
Fazls Behauptung, dass dem Herrscher der Status eines
Gottes zukomme, denn nun musste ihm angerechnet
werden, er habe nicht bloß eine gänzlich imaginäre Frau
geschaffen, die gehen, reden und ihn lieben konnte, obwohl sie gar nicht
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