Rushdie Salman
hatten
die Frauen Angst vor ihr, wussten sie doch, dass sie unmöglich, also unwiderstehlich war und dass der König sie
deshalb stärker als all seine übrigen Frauen liebte. Sie
hassten sie, weil sie ihnen ihre Geschichte gestohlen hatte. Hätte man sie ermorden können, sie hätten es getan,
doch solange der Herrscher ihrer nicht müde wurde oder
das Zeitliche segnete, war sie unsterblich. Zwar lag der
Gedanke an den Tod des Herrschers nicht jenseits aller
Erwägungen, doch hatten ihn die Königinnen bislang
nicht in Betracht gezogen. Noch ertrugen sie stumm ihren
Kummer. Der Regent ist nicht richtig im Kopf, murrten
sie vor sich hin, wagten es vernünftigerweise aber nicht,
ihre Worte laut zu äußern. Und wenn er sich irgendwo in
der Weltgeschichte herumtrieb, um irgendwen umzubringen, überließen sie seine imaginäre Buhle sich selbst.
Nie sprachen sie ihren Namen aus. ]odhaj ]odhabai. Nie
kamen diese Worte über ihre Lippen. Allein streifte sie
durch den Palast. Sie war der Schatten, der über die vergitterten Wandschirme huschte, sie war ein im Wind flatterndes Tuch. Nachts stand sie im obersten Stock des
Panch Mahal unter der kleinen Kuppel, suchte den Horizont ab und wartete auf die Rückkehr ihres Herrschers,
der sie Wirklichkeit werden ließ. Auf den Monarchen,
der vom Krieg heimkehrte.
Lange ehe der gelb haarige Lügner aus fernen Landen
Fatehpur Sikri mit seinen Geschichten über Wundertaten
und Zauberinnen erschütterte, hatte Jodha geahnt, welch
magische Kräfte ihrem illustren Gatten im Blut lagen.
Jedermann wusste über die nekromantischen Künste von
Dschingis Khan Bescheid, wusste von seinen Tieropfern
und den okkulten Kräutern, der Schwarzen Kunst, mit
deren Hilfe es ihm gelungen war, achthunderttausend
Nachfahren zu zeugen. Jedermann hatte gehört, wie Timur, der Lahme, den Koran verbrannt und nach der Eroberung der Erde versucht hatte, zu den Sternen aufzusteigen, um auch noch den Himmel zu erstürmen. Jedermann
war bekannt, dass Herrscher Babar das Leben des sterbenden Humayun dadurch gerettet hatte, dass er um das
Krankenbett gelaufen und so den Tod vom Jungen zum
Vater fortgelockt, dass er sich geopfert hatte, damit sein
Sohn leben konnte. Diese düsteren Pakte mit Tod und
Teufel gehörten zum Erbteil ihres Mannes. Und war ihre
eigene Existenz nicht Beweis genug dafür, über welch
starke Magie er verfügte?
Die Schaffung echten Lebens nach einem Traumvorbild
glich einer übermenschlichen Tat, wie sie eigentlich nur
Göttern vorbehalten war. Sikri wurde in jenen Tagen von
Dichtern und anderen Künstlern überlaufen, von aufgeblasenen Egoisten, die angeblich über die Macht der Sprache und Bilder geboten, mit deren Hilfe sie aus leerem
Nichts Schönes heraufbeschwören wollten, doch war es
weder Poeten noch Malern, weder Musikern noch Bildhauern je gelungen, was ihr Herrscher, dieser vollkommene Mensch, geschaffen hatte. Zudem wimmelte es am
Hofe von Fremden, von pomadisierten Exoten, wettergegerbten Kaufleuten und schmalgesichtigen Priestern aus
dem Westen, die in ihren hässlichen, unerfreulichen
Sprachen mit der Majestät ihres Landes prahlten, ihres
Gottes, ihres Königs. Jodha stand im oberen Stock ihrer
Gemächer hinter einer steinernen Fensterverkleidung und
sah hinab in den großen, ummauerten Hof, den Hof der
öffentlichen Anhörung, um die herausgeputzten, herumstolzierenden Weitgereisten genauer in Augenschein
zu nehmen. Als der Herrscher ihr Bilder von den Bergen
und Tälern der Fremdlinge zeigte, dachte sie an den Himalaja, an Kaschmir und konnte über die mickrigen ausländischen Annäherungen an die Schönheit der Natur nur
lachen, über die Täler, die Alpen, Halbworte, die Halbheiten beschrieben. Ihre Könige waren Barbaren; ihren
Gott hatten sie an einen Baum genagelt. Was sollte sie
mit derart lächerlichen Leuten?
Ihre Geschichten beeindruckten sie ebenso wenig. Vom
Herr-scher hatte sie die Erzählung eines Reisenden über
einen Bildhauer der Griechen aus alter Zeit vernommen,
der sich in eine Frau aus Stein verliebte und sie so zum
Leben erweckte. Sie ging nicht gut aus, diese Geschichte,
und war wohl auch nur ein Märchen für Kinder. Mit ihrer
eigenen Existenz ließ sie sich jedenfalls schwerlich vergleichen. Denn hier war sie, es gab sie tatsächlich. Nur
ein einziger Mensch auf Erden hatte je eine derartige
Schöpfungstat durch reine Willensanstrengung vollbracht.
Die ausländischen Reisenden interessierten sie
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