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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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nicht,
doch wusste sie, dass sie den Herrscher faszinierten. Die
Fremden kamen auf der Suche nach … ja, wonach eigentlich? Nach nichts Sinnvollem jedenfalls. Wären sie weise
Menschen gewesen, hätten sie um die Nutzlosigkeit ihrer
Reisen gewusst. Reisen waren sinnlos. Reisen führten nur
fort von dem Ort, an dem man Bedeutung besaß und dem
man Bedeutung verlieh, indem man ihm sein Leben
widmete; sie entführten nur in phantastische Welten, in
denen man schlichtweg keinen Sinn besaß und auch noch
absurd aussah.
Ja, die Stadt Sikri war für sie das Märchenland, gerade
so, wie deren England, Portugal, Holland oder Frankreich
Jodhas Verständnis überstiegen. Die Welt war keineswegs einförmig. «Wir sind ihr Traum», hatte der Herrscher gesagt, «und sie sind unser Traum.» Sie liebte ihn,
weil er ihre Ansichten nie leichtfertig abtat, sie nie mit
majestätischer Geste einfach beiseitewischte. «Doch stell
dir vor, Jodha», sagte er eines Abends, während sie ganjifa-Spielkarten auf den Tisch knallten, «wir könnten in
den Träumen anderer Menschen erwachen, könnten sie
verändern und hätten den Mut, sie in unsere Träume einzuladen. Was, wenn die ganze Welt zu einem einzigen
Wachtraum würde?» Sie konnte ihn wohl kaum einen
Phantasten nennen, wenn er von Wachträumen sprach,
denn war sie etwas anderes?
Sie hatte den Palast nie verlassen, in dem sie vor einem
Jahr-zehnt als Erwachsene geboren worden war, geboren
einem Mann, der nicht nur ihr Schöpfer, sondern auch ihr
Liebhaber war. Es stimmte: Sie war zugleich seine Frau
und sein Kind, doch sollte sie je den Palast verlassen,
würde der Zauber gebrochen, und sie hörte auf zu existieren, zumindest nahm sie das an. Wenn der Herrscher ihr
mit der Kraft seines Glaubens half, könnte sie die
Mauern möglicherweise sogar hinter sich lassen, aber
allein hatte sie keine Chance. Zum Glück verlangte es sie
gar nicht danach, dem Palast den Rücken zuzukehren.
Das Labyrinth ummauerter und mit Vorhängen abgeteilter Korridore, das die diversen Gebäude des Palastkomplexes untereinander verband, bot ihr mehr als genügend
Bewegungsfreiheit. Dies hier war ihre kleine Welt. Ihr
fehlte das Interesse des Eroberers am Anderswo. Den
Rest der Welt konnte der Rest der Welt behalten, dieses
Geviert aus Steinen aber war ihr Reich.
    Sie war eine Frau ohne Vergangenheit, war von der Geschichte getrennt oder besaß vielmehr nur jenes Maß an
Geschichte, das ihr zu verleihen er für nötig befunden
hatte, eine Geschichte, die von den anderen Königinnen
erbittert angefochten wurde. Die Frage nach der Unabhängigkeit ihrer Existenz, falls sie denn überhaupt eine
hatte, stellte sich stets aufs Neue, ob sie nun wollte oder
nicht. Wenn Gott sich vom Menschen, seiner Schöpfung,
abwandte, lebte der Mensch dann weiter fort? So lautete
die Frage im Großen, doch es waren ihre egoistischen,
kleinen Versionen, die Jodha wirklich zu schaffen machten. Bestand ihr Wille unabhängig von jenem Mann, der
sie ins Sein gewünscht hatte? Gab es sie nur, weil er sich
weigerte, die Möglichkeit ihrer Existenz für unmöglich
zu halten? Und wenn er starb, würde sie dann weiterleben?
Sie spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Etwas würde
geschehen. Sie wurde stärker, solider, Zweifel schwanden. Er kommt.
Der Herrscher hatte den Palastbereich betreten, und sie
konnte die Macht seines sich nähernden Begehrens fühlen. Ja. Etwas würde geschehen. Seine Schritte hallten in
ihrem Blut wider, und sie konnte ihn in sich selbst sehen;
sie schien zu wachsen, während er ihr entgegeneilte. Sie
war sein Spiegelbild, da er sie solcherart geformt hatte,
aber sie war auch sie selbst. Nun, nach abgeschlossenem
Schöpfungsakt, stand es ihr frei, jener Mensch zu sein,
den er geschaffen hatte, so frei wie jeder Mensch innerhalb der Grenzen seiner Natur frei sein kann. Wie stark
sie plötzlich war, wie voller Blut und Wut! Dabei war
seine Macht über sie keineswegs absolut. Sie brauchte
nur kohärent zu sein. Und noch nie hatte sie sich so kohärent gefühlt. Wie eine Flut strömte ihre Natur auf sie ein.
Unterwürfig aber war sie nicht. Er mochte keine unterwürfigen Frauen.
Zuerst wollte sie mit ihm schimpfen. Wie konnte er es
wagen, so lange fortzubleiben? In seiner Abwesenheit
hatte sie gegen manche Intrige kämpfen müssen. Nichts
war in diesem Haus vertrauenswürdig. Die Wände selbst
steckten voller Geflüster. Sie hatte gekämpft und dafür
gesorgt, dass

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