Rushdie Salman
zu werden (und nachdem er den Kohinoor-Diamanten fortgegeben hatte,, damit ihm der König von Persien eine Armee überließ,
doch kaum war der Thron zurückgewonnen, war sein
Vater nach einem Sturz von der Treppe zur Bibliothek
gestorben. Akbar hatte ihn nie kennengelernt. Er war in
Sind geboren, gleich nach Humayuns Niederlage bei
Chausa, als Sher Schah Suri jener König wurde, der König Humayun hätte sein sollen, aber nicht sein konnte,
und dann hatte sich der abgesetzte Herrscher schnurstracks nach Persien auf und davon gemacht, hatte seinen
Sohn verlassen. Seinen vierzehn Monate alten Sohn. Der
wurde folglich vom Bruder seines Vaters, seinem Feind,
von Onkel Askari von Kandahar aufgezogen; ein wilder
Mann, dieser Onkel Askari, der Akbar ohne zu zögern
getötet hätte, wäre er nur jemals nahe genug an ihn herangekommen, was ihm aber nie gelang, da seine Frau
dies zu verhindern wusste.
Akbar lebte, weil seine Tante es so gewollt hatte.
Und in Kandahar lernte er das Überleben, lernte zu
kämpfen, zu töten, zu jagen und auch so manches zu tun,
was nicht gelehrt wurde, etwa auf sich aufzupassen, die
Zunge zu hüten und nichts Falsches zu sagen, nichts, was
ihn das Leben kosten könnte. Er lernte allerhand über die
Würde der Verlorenen, übers Verlieren und wie es die
Seele reinigte, Niederlagen anzunehmen, loszulassen,
jene Falle zu meiden, die darin bestand, sich zu sehr an
das zu klammern, was man haben wollte, lernte überhaupt so einiges über das Verlassenwerden, insbesondere
über die Vaterlosigkeit, über das Fehlen der Väter, die
Fehler der Vaterlosen und die Möglichkeiten, wie sich
jene, die weniger sind, gegen die wehren, die mehr sind:
innere Zurückgezogenheit, Vorausschau, Verschlagenheit, Demut und der Blick über den Tellerrand. Die vielen Lektionen der Fehlerhaftigkeit. Jene Fehlerhaftigkeit,
aus der heraus das Wachsen beginnen konnte.
Doch gab es Dinge, die ihn zu lehren niemand nötig fand
und die er folglich niemals lernte. «Wir sind der Herrscher über In-dien, Bhakti Ram Jain, können aber unseren eigenen verdammten Namen nicht schreiben», rief er
im Morgengrauen seinem Leibdiener zu, als der alte
Mann ihm bei den Waschungen half.
«Ja, 0 höchst gesegnete Wesenheit, Vater zahlreicher
Söhne, Gatte vieler Frauen, Monarch der Welt, Allumfasser der Erde», sagte Bhakti RamJain und reichte ihm
ein Handtuch. Diese Zeit, die Stunde des herrschaftlichen
levees, war auch die Stunde königlicher Lobhudeleien.
Und Bhakti Ram Jain hielt es sich sehr zugute, den Rang
des Königlichen Schmeichlers Ersten Grades innezuhaben, galt er doch als ein Meister jenes blumigen Stils
alter Schule, der allgemein nur «kumulative Katzbuckelei» genannt wurde. Wegen der vorgeschriebenen Wiederholungen und der notwendigen Präzision in der Abfolge war nur ein Mann mit ausgezeichnetem Gedächtnis
für die barocken Formulierungen der exzessiven Lobgesänge fähig, kumulativ zu katzbuckeln. Bhakti Ram Jains
Gedächtnis aber war unfehlbar. Er konnte seinen Herrn
stundenlang umschmeicheln.
Gleich einem schicksalhaften Omen sah der Herrscher
sein Gesicht aus dem Krug mit warmem Wasser zu sich
aufblicken. «Wir sind der König der Könige, Bhakti Ram
Jain, können aber nicht mal unsere eigenen Gesetze lesen. Was sagst du dazu?»
«Ja, 0 gerechtester aller Richter, Vater zahlreicher Söhne,
Gatte vieler Frauen, Monarch der Welt, Allumfasser der
Erde, Herrscher dessen, was ist, Zusammenführer allen
Seins», sagte Bhakti Ram Jain und begann, sich für seine
Aufgabe zu erwärmen.
«Wir sind der erhabene Glanz, Indiens Stern, die Sonne
des Ruhmes», sagte der Herrscher, der selbst nicht ganz
unbewandert in der Kunst des Schmeichelns war, «doch
wuchsen wir in einer Kloake auf, einer Stadt, in der
Männer Frauen vögeln, um Kinder zu machen, aber Jungen vögeln, um Männer aus ihnen zu machen - weshalb
wir lernten, auf den Angreifer von hinten ebenso wie auf
den Krieger direkt vor unserer Nase zu achten.»
«Ja, 0 strahlendes Licht, Vater zahlreicher Söhne, Gatte
vieler Frauen, Monarch der Welt, Allumfasser der Erde,
Herrscher dessen, was ist, Zusammenführer allen Seins,
erhabener Glanz, Indiens Stern und Sonne des Ruhmes»,
sagte Bhakti Ram Jain, der zwar taub sein mochte, aber
durchaus wusste, wann es galt, einen Wink zu verstehen.
«Sollte so ein König aufwachsen, Bhakti Ram Jain?»,
brüllte der Herrscher und kippte in seinem Zorn den
Wasserkrug um. «Ein
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