Rushdie Salman
Allerwertesten. Dem Mann Gottes entfuhren daraufhin eine Reihe derber Flüche - nicht auf
Portugiesisch, sondern auf Italienisch. «Ihr seht, ]ahanpanah», sagte Birbal, «wenn der Augenblick gekommen
ist, zu Beleidigungen zu greifen, wählt man stets die
Muttersprache.»
«Wärt Ihr ein Atheist, Birbal», forderte der Herrscher
seinen Ersten Minister heraus, «was würdet Ihr den
wahrhaft Gläubigen der großen Religionen dieser Welt
sagen?»
Birbal, selbst ein frommer Brahmane aus Trivikrampur,
ant-wortete, ohne zu zögern: «Ich würde ihnen sagen,
dass sie meiner Meinung nach auch Atheisten seien, da
ich nur an einen Gott weniger glaube als sie.»
«Wie das?», wollte der Herrscher wissen.
«Die wahrhaft Gläubigen haben jeden Grund, an allen
ande-ren Göttern außer an ihrem eigenen zu zweifeln>,
sagte Birbal, «und deshalb geben sie mir in ihrer Gesamtheit genügend Anlass, an keinen zu glauben.»
Der Herrscher stand mit seinem Ersten Minister in seinem Schlafgemach Khwabgah, dem Ort der Träume, und
ließ den Blick über die stille Wasseroberfläche des Anup
Talao wandern, des privaten, rechteckig angelegten
Schwimmbeckens des Monarchen, jenem beispiellosen
Wasserbecken, dem Besten aller möglichen Becken, von
dem es hieß, seine Wellen würden eine Warnung schicken, falls dem Reich je Schwierigkeiten drohten. «Birbal», sagte Akbar, «wie Ihr wisst, plagt meine Lieblingskönigin das Missgeschick, nicht am Leben zu sein. Obwohl ich keine Frau so liebe wie sie, sie stärker als jede
andere bewundere und sie mehr als den verlorenen Kohinoor schätze, ist sie untröstlich». «Selbst die hässlichste,
griesgrämigste Xanthippe unter Euren Weibern ist wenigstens aus Fleisch und Blut», sagt sie, «weshalb ich
letzten Endes nicht einmal mit ihr konkurrieren könnte».
Der Erste Minister aber riet seinem Herrscher: «Sagt ihr,
]ahanpanah, dass ihr Sieg letzten Endes für jedermann
offenkundig sein wird, denn irgendwann werden die anderen Königinnen ebenso wenig leben wie sie, wohingegen sie dann auf ein Leben voller Liebe mit Euch zurückschauen kann und ihr Ruhm über alle Zeit hinweg erstrahlen wird. Wenn sie daher auch in Wirklichkeit nicht
existiert, ließe sich doch behaupten, dass sie diejenige ist,
die lebt. Denn täte sie das nicht, würde dort drüben, hinter dem hohen Fenster, niemand auf Eure Rückkehr warten.»
Jodhas Schwestern, ihre Mitfrauen, waren gegen sie eingenommen. Wie konnte der mächtige Herrscher denn
auch die Gesellschaft einer Frau bevorzugen, die gar
nicht existierte? Wenigstens sollte sie so viel Anstand
besitzen, unsichtbar zu bleiben, wenn er sich nicht im
Haus aufhielt, denn man fand es schlichtweg unmöglich,
dass sie sich bei jenen herumtrieb, die zu den Lebenden
zählten. Sie sollte verschwinden - immerhin war sie nur
eine Erscheinung -, sollte in einen Spiegel eintauchen,
mit einem Schatten verschmelzen oder sich sonst wie in
Luft auflösen. Dass sie dies nicht tat, so die lebenden
Königinnen, war ein Schnitzer, wie er für imaginäre Wesen typisch war. Wie wollte man bei ihr auch eine gute
Kinderstube erwarten, da sie doch nie eine Kindheit
durchlebt hatte? Ein ungebildetes, unhöfliches Hirngespinst, das war sie, und sie verdiente es, nicht beachtet zu
werden.
Der Herrscher habe sie aus Gestohlenem zusammengeklaubt, zeterten seine lebenden Frauen. Er behauptete, sie
sei die Tochter des Fürsten von Jodhpur, dabei stimmte
das gar nicht! Das nämlich war eine andere Königin, und
die war auch nicht dessen Tochter gewesen, sondern seine Schwester. Außerdem glaubte der Herrscher, seine
eingebildete Geliebte sei die Mutter seines ersten Sohnes,
des langersehnten Erstgeborenen, gezeugt dank des Segens ebenjenes Heiligen, neben dessen Hügelhütte man
die siegreiche Stadt erbaute. Dabei war sie gar nicht Fürst
Salims Mutter, wie Fürst Salims wahre Mutter Rajkumari
Hira Kunwari, auch bekannt als Mariam-uz-Zamani,
Tochter Raja Bihar Mals von Amer aus dem Klan der
Kachhwaha, jedem, der zuhören wollte, voll Kummer
erzählte. Selbst die grenzenlose Schönheit der imaginären
Königin stammte von einer anderen Gespielin, ihre Hindu-Religion von einer weiteren, der unermessliche Reichtum von einer dritten Frau. Das Temperament aber, das
war Akbars eigene Kreation. Keine echte Frau konnte
sein wie sie, vollkommen in ihrer Aufmerksamkeit, absolut anspruchslos, immerzu verfügbar. Sie war ein unmögliches Geschöpf, das perfekte Fabelwesen, daher
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