Rushdie Salman
den anmaßenden Rana von Cooch
Naheen in Stücke hackte, und es war ein Streitsaal errichtet worden, in dem die Anbetung des Göttlichen in Form
eines kompromisslosen Ringkampfes des Geistes stattfand. Akbar bat Mogor dell’ Amore, ihn zu diesem Zelt
zu begleiten, da er mit seiner Erfindung prahlen, den
Neuankömmling mit der prachtvollen Originalität und
Fortschrittlichkeit am Hofe des Moguls beeindrucken
und nebenbei auch den von Portugal entsandten Jesuiten
zeigen wollte, dass sie nicht die einzigen Menschen aus
dem Westen waren, deren Worte ans kaiserliche Ohr
drangen.
Im Zelt waren die Teilnehmer des Disputs in die Lager
der Wassertrinker und Weinliebhaber geteilt und ruhten
auf Teppichen und Polstern, nur getrennt durch eine Art
Mittelschiff, das bis auf die Sitze für den Herrscher und
seine Gäste leer blieb. Zur manqul-Partei gehörten die
religiösen Denker und die Mystiker, die ausschließlich
Wasser tranken, während die ma’qul, ihre Gegner, sowohl die Wissenschaften wie auch die reine Philosophie
verehrten und sich von morgens bis abends stets auf
Neue am Wein labten. Abul Fazl und Raja Birbal waren
heute zugegen und saßen wie gewohnt unter den Befürwortern des Weins. Auch Prinz Salim schaute vorbei, ein
verdrießlicher Jugendlicher, der an der Seite von Badauni
saß, dem puritanischen Anführer der «Nur-Wasser»Fraktion: ein dünner Strich von einem Mann einer jener
jungen Männer, bei denen es den Anschein hat, sie würden bereits alt geboren -, der den älteren Abul Fazl nicht
ausstehen konnte und von diesem kugelrunden Edlen
seinerseits von Herzen verabscheut wurde. Argumente
flogen hin und her, manchmal von derart maßlosen Beschimpfungen begleitet (<«Trottelige Termite!»,, dass der Herrscher sich verwundert fragte, wie solche Zwietracht je zur angestrebten
Harmonie führen sollte. War Freiheit tatsächlich der Weg
zur Einheit? Oder war Chaos ihr unvermeidliches Ergebnis?
Akbar hatte beschlossen, dass sein revolutionärer Tempel
kein dauerhaftes Gebäude sein sollte. Allein das Streitgespräch - und keine Gottheit, wie mächtig oder vielarmig
sie auch sein mochte sollte hier verehrt werden. Doch
war die Vernunft eine vergängliche Gottheit, ein sterblicher Gott, und selbst wenn sie einmal wiedergeboren
wurde, starb sie doch unvermeidlich stets aufs Neue.
Ideen glichen den Gezeiten des Meeres oder den Phasen
des Mondes, sie schwollen an, nahmen in gehöriger Zeit
zu, um dann wieder abzunehmen, worauf sie sich verdunkelten und schließlich verschwanden, wenn das große
Rad sich drehte. Die Zeltmacher der Moguln waren auf
ihre Weise wahre Genies und schufen zusammenlegbare
Häuser von äußerster Komplexität und größter Schönheit.
Wenn die Armee marschierte, wurde sie von einer zweiten, zweieinhalbtausend Mann starken Armee begleitet
(um von Elefanten und Kamelen ganz zu schweigen,, die
jene kleine Zeltstadt errichteten und wieder abtrugen, in
der Seine Majestät mitsamt Gefolge residierte. Diese
tragbaren Pagoden, Pavillons und Paläste hatten sogar
Sikris Steinmetze inspiriert - doch war
ein Zelt immer noch ein Zelt, ein Etwas aus Leinwand,
Tuch und Holz, das sehr wohl die Vergänglichkeit der
Geistesdinge zu verkörpern vermochte. Eines Tages, in
hundert Jahren von heute, wenn sein großes Reich einmal
nicht mehr war - 0 ja, an diesem Ort war er bereit, selbst
den Untergang seiner eigenen Schöpfung zu denken! -,
würden seine Nachfahren sehen, dass das Zelt abgebaut
und alle Glorie vergangen war. «Erst wenn wir die
Wahrheiten des Todes akzeptieren», verkündete der
Herrscher, «können wir die Wahrheiten des Lebens verstehen lernen.»
«Ein Paradox, mein Herr», antwortete Mogor dell’ Amore
frech, «ist ein Knoten, der es dem Menschen erlaubt,
selbst dann einen intelligenten Eindruck zu machen,
wenn er sein Hirn dressiert wie ein Koch das für die
Pfanne bestimmte Huhn. des Lebens!> - seiner Seele Armut!> So kann Grausamkeit zu Sanftmut
werden, Hässliches zu Schönem und jedes gesegnete
Etwas zu seinem Gegenteil. Da haben wir dann tatsächlich einen Spiegelsaal voller Illusionen und Inversionen,
aber man kann sich bis an sein Lebensende in den Sümpfen der Paradoxa suhlen, ohne doch je einen klaren Gedanken gefasst zu haben, der es wert wäre, ausgesprochen zu werden.»
In diesem Moment spürte der Herrscher eine Woge jener
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