Rushdie Salman
blin-den Wut in sich anschwellen, die ihn jüngst dazu
veranlasst hatte, dem Rana von Cooch Naheen seinen
beleidigenden Schnurrbart aus dem Gesicht zu reißen.
Mit welchem Recht behauptete dieser ausländische
Spitzbube…? Hatten seine Ohren ihn getäuscht? Wie
konnte der Kerl es wagen…? Der Herrscher merkte, wie
er im Gesicht puterrot anlief und dass er vor lauter Zorn
spuckte und Speichel verspritzte. Die Versammlung erstarrte in entsetztem Schweigen, denn ein erzürnter Akbar
war zu allem fähig; mit bloßen Händen konnte er den
Himmel zu Boden zerren oder die Zungen aller Menschen in Hörweite herausreißen, nur um dafür zu sorgen,
dass sie niemals über das soeben Vernommene reden
würden; er konnte ihnen auch die Seele ausreißen und sie
in einer Schüssel ihres eigenen Blutes ertränken.
Es war Prinz Salim, der, von Badauni dazu aufgefordert,
das erschrockene Schweigen brach. «Wisst Ihr nicht»,
sagte er zu diesem Eindringling mit dem seltsamen, viel
zu warmen Mantel, «dass Ihr sterben könntet für das, was
Ihr gerade dem König gesagt habt?»
Mogor dell’Amore sah unerschrocken drein (auch wenn
er sich vielleicht nicht so fühlte,. «Falls ich in dieser
Stadt dafür sterben kann», erwiderte er, «dann ist es keine Stadt, in der es sich zu leben lohnt. Zudem war ich der
Ansicht, dass in diesem Zelt allein die Vernunft - und
nicht der König - regiert.»
Die Stille troff wie geronnene Milch. Akbars Gesicht lief
dunkelrot an. Doch plötzlich verzog sich das Unwetter,
und der Herrscher lachte, schlug Mogor dell’ Amore auf
den Rücken und nickte mit Nachdruck. «Meine Herren,
ein Fremdling hat uns eine wichtige Lektion erteilt», sagte er. «Man muss außerhalb des Kreises stehen, will man
erkennen, dass er rund ist.»
Jetzt war der Prinz an der Reihe, den missbilligenden
Zorn der aufgebrachten Menge zu spüren, doch setzte er
sich wie-der ohne ein Wort. Abul Fazl fand das Gesicht,
das sein Gegner Badauni zog, so herzerfrischend, dass er
sich für den gelbhaarigen Fremden zu erwärmen begann,
der seinen König auf diese unerwartete Weise bezaubert
hatte. Der Neuankömmling selbst aber begriff, dass sein
Spiel zwar aufgegangen war, er sich dabei aber einen
mächtigen Feind eingehandelt hatte, den noch gefährlicher machte, dass er ein unreifer und offensichtlich ziemlich störrischer Jugendlicher war. Die Frau des Prinzen
hasst das Skelett, und jetzt hasst der Prinz auch noch
mich, dachte der Fremde. Dagegen können wir unmöglich gewinnen. Doch ließ er sich seine Bedenken nicht
anmerken und nahm mit kratzfüßigster Verbeugung und
weit ausladender Geste ein von Raja Birbal dargebotenes
Glas Wein an.
Der Herrscher musste ebenfalls über seinen Sohn nachdenken.
Welch Freude ihm dessen Geburt doch, bereitet hatte!
Vielleicht aber war es gar nicht so klug gewesen, ihn der
Obhut der Mystiker anzuvertrauen, den Anhängern und
Nachfolgern von Scheich Salim Chishti, nach dem man
den Prinzen benannt hatte. Der Junge war zu einem heillos verworrenen Durcheinander von Widersprüchen herangewachsen, der ebenso eine Vorliebe für die sorgsame, feinfühlige Kunst des Gärtnerns besaß wie für
opiumschwere Apathie, ein Sexbesessener unter Puritanern, ein Liebhaber der Lust, der die unnachgiebigsten
Denker zitierte und Akbars Favoriten verachtete, über die
er nur sagte: Wie will man von Blinden erwarten, dass sie
einem den Weg weisen? Eine Zeile, die natürlich nicht
von ihm stammte. Der Junge war ein Papagei, ein Beo,
eine Marionette, die von einem Strippenzieher auch gegen ihn selbst gerichtet werden konnte.
Wohingegen man sich auf der anderen Seite und wie zum
Kontrast nur diesen Fremden ansehen musste, der so verliebt in gute Dispute schien, dass er dem Herrscher den
Spott eines Rationalisten ins erstaunte Gesicht schleuderte, dazu in aller Öffentlichkeit, was die Sache noch
schlimmer machte. Vielleicht war dies jemand, mit dem
ein Monarch auf eine Weise reden konnte, die sein eigen
Fleisch und Blut nicht verstand, die es vielleicht auch
langweilig fand. Als er den Rana von Cooch Naheen getötet hatte, war ihm die Frage in den Sinn gekommen, ob
er nicht gerade den einzigen Menschen ermordete, der
ihn vielleicht verstand und den er unter Umständen sogar
liebgewonnen hätte. Nun hatte ihm das Schicksal womöglich wie als Antwort auf seinen Kummer einen zweiten derartigen Vertrauten gesandt, vielleicht einen noch
besseren als den ersten, denn dieser hier war
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