Rushdie Salman
einbeinigen,
eine Augenklappe tragenden Arztes, den man zum Sprecher erkoren hatte. Doch dies war nicht jener Lobegott
Hawkins, wie ihn der Angeklagte erinnerte, kein weinerlicher Hahnrei, dem er mühelos seinen Willen aufdrängen konnte. Nein, dieser Hawkins war vornehm angezogen und hatte eine grimmige Miene aufgesetzt. Als er
den Gefangenen in den Gerichtssaal kommen sah, deutete er auf ihn und rief mit schallender Stimme: «Da steht
er, Uccello, der Schuft, der den Botschafter wegen seines
Goldes ermordet hat!»
«Gerechtigkeit!», brüllten die Seeleute und - weniger
edel: «Wir wollen unser Gold zurück!» Der Angeklagte,
der nur ein langes weißes Hemd trug und dem die Hände
auf den Rücken gebunden worden waren, nahm die unheilvolle Szene in sich auf der Monarch, die neun Richter, die Kläger und die schmale Empore mit unbedeutenderen Höflingen, die sich in das kleine Gemach drängten,
um Zeugen der Verhandlung zu sein, unter ihnen, auffällig im schwarzen Jesuitengewand, die beiden christlichen
Priester, Pater Rodolfo Acquaviva und Pater Antonio
Monserrate, die darauf achten sollten, dass die Männer
aus dem Westen Gerechtigkeit und vielleicht auch ihr
Geld bekamen, für das sie so weit gereist waren. Der
Angeklagte begriff, wie sehr er sich verschätzt hatte. Ihm
war der Gedanke gar nicht in den Sinn gekommen, diese
Meute könnte ihn verfolgen, wenn sie erst einmal ihren
Kapitän tot daliegen sah, also hatte er auch seine Spuren
nicht verwischt. Ein hochgewachsener gelb haariger
Mann, der in einem Ledermantel buntester Farben in einem Ochsenkarren stand, bot keinen gewöhnlichen Anblick auf Indiens Straßen. Außerdem waren sie viele, er
war nur einer, sein Fall schien aussichtslos. «Hier am
Hofe», sagte Abul Fazl, «kennt man ihn unter anderem
Namen.»
Pater Acquaviva wurde erlaubt, sich mittels seines persischen Dolmetschers zu Wort zu melden. «Mogor
dell’Amore ist doch überhaupt kein Name», verkündete
er mit vernichtender Stimme. «Die Worte bedeuten: ein
unehelich geborener Mogul, Worte, die viel riskieren und
gewiss so manch einen beleidigen. Wer diesen Namen
annimmt, gibt kund, dass er wünscht, für einen illegitimen Prinzen gehalten zu werden.»
Seine Aussage sorgte für allerhand Bestürzung am Hofe.
Der Herrscher ließ den Kopf noch tiefer sinken, bis sein
Kinn schließlich auf der Brust ruhte. Abul Fazl wandte
sich dem Angeklagten zu. «Nennt mir Euren wahren
Namen!», forderte er ihn auf. «Denn ist doch
gewiss nur eine weitere Maske.»
Der Gefangene blieb stumm. Dann aber erklang von oben
her-ab plötzlich die Donnerstimme des Herrschers. «Den
Namen», brüllte er und hörte sich wie eine überlaute
Ausgabe von Lobegott Hawkins an, der über die Untreue
seiner portugiesischen Geliebten klagte. «Zum Teufel
noch mal! Den Namen, farangi, oder es kostet Euch das
Leben.»
Der Gefangene sprach. «Ich heiße Vespucci», sagte er
leise. «Niccolo Vespucci.»
«Noch eine Lüge», ließ Acquaviva über seinen Dolmetscher einwerfen. «Vespucci, dass ich nicht lache.» Und er
lachte laut, ein vulgäres, okzidentales Lachen, das Lachen eines Volkes, das glaubt, Hüter des Gelächters der
Welt zu sein. «Er ist wirklich ein schamloser, verlogener
Dieb, und diesmal hat er einen großen florentinischen
Namen gestohlen.,,
An dieser Stelle unterbrach ihn Raja Birbal. «Mein
Herr,,, sagte er zum Jesuiten, «wir sind dankbar für Euren
früheren Redebeitrag, doch erspart uns bitte diese Art
von Anschuldigungen. Wir haben es mit einem eigenartigen Fall zu tun. Ein schottischer Adliger ist zu Tode gekommen, so viel steht fest, und das finden wir alle bedauerlich. Der Brief, den er unserem Herrscher überbringen sollte, wurde vom Angeklagten ausgehändigt; auch
das steht fest, doch wird ein Postbote nicht dadurch zum
Mörder, dass er den Brief eines Toten überbringt. Die
Schiffsmannschaft sagt aus, sie habe nach langer Suche
sieben verborgene Kammern in der Kajüte des Kapitäns
entdeckt, nur waren alle sieben leer. Wer aber hat sie
ausgeräumt? Das lässt sich nicht mit Gewissheit sagen.
Möglicherweise enthielten sie Gold oder Juwelen, vielleicht aber waren sie auch schon vorher leer. Der Schiffsarzt, Doktor Hawkins, hat unter Eid ausgesagt, er sei nun
der Überzeugung, dass der verstorbene Lord an den tödlichen Folgen einer Vergiftung mit Laudanum starb, doch
hat er sich selbst Tag und Nacht um den Kranken bis zur
Stunde seines Todes
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