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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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die Wege zu leiten. Sollten sie sich dazu entschließen,
würde man sie zum Schiff zurückbegleiten und dort freilassen, doch wäre es dann unmöglich, den Fall Vespucci
noch einmal aufzurollen, da man ihre Flucht als Beweis
ihrer Schuld verstünde; und falls sie doch in dieses Königreich zurückkehren sollten, würde man sie ohne weitere Umstände für den Mord an Lord Hauksbank hinrichten. «Diese Wahl lässt Euch der Herrscher in seiner
Weisheit», gab der Eunuch mit so ernster wie weiblicher
Stimme kund.
Die Mannschaft der Scathath bewies praktisch auf der
Stelle einen eklatanten Mangel an Ehrgefühl. «Behaltet
den nieder-trächtigen Mörder», sagte Lobegott Hawkins,
«wir wollen nach Hause.» Umar der Ayyar musste seine
aufwallende Verachtung unterdrücken. Den Engländern
war auf dieser Erde keine Zukunft beschieden, sagte er
sich. Ein Volk, das den Gedanken eines persönlichen
Opfers von sich wies, würde nur allzu bald wieder aus
den Annalen der Geschichte getilgt werden.
    Als der frisch mit eigenem Namen versehene Niccolo
Vespucci in die Gemächer des Herrschers gebracht wurde, erneut in eigenen Kleidern, den vielfarbigen Ledermantel verwegen wie ein Cape über die Schulter geworfen, war er gänzlich der Alte und grinste schelmisch wie
ein Zauberer, dem ein unmöglicher Trick gelungen war,
so als hätte er einen Palast verschwinden lassen, wäre
unversehrt durch eine Flammenmauer geschritten oder
hätte dafür gesorgt, dass ein irrer Elefant sich in ihn verliebte. Birbal und den Herrscher verblüffte sein großspuriges Gehabe. «Wie ist Euch das gelungen?», wollte der
Herrscher wissen. «Warum hat Hiran Euch nicht umgebracht?» Vespucci verzog das Gesicht zu einem noch breiteren Grinsen. «Es war Liebe auf den ersten Blick», sagte
er. «Euer Elefant hat Euch treu gedient, und fraglos hat er
an mir, Eurem erst so kürzlich gewonnenen Freund und
Gefährten, einen Hauch Eures vertrauten Parfüms wahrgenommen.»
Machen wir es nicht alle so?, fragte sich der Herrscher.
Dieser Hang zur charmanten Lüge, dieses ewige Schönreden der Wirklichkeit, diese mit Pomade geglättete
Wahrheit? Sind die spitzbübischen Kapriolen dieses
Mannes der drei Namen nur ein Abbild unserer eigenen
Narretei? Ist die Wahrheit für uns etwa ein zu armselig
Ding? Gibt es irgendeinen Menschen, der nicht des Guten zu viel täte? Bin «ich» keinen Deut besser als er?
Vespucci dachte unterdessen über Vertrauen nach. Er,
der niemandem vertraute, hatte einer Frau vertraut, und
sie hatte ihn vor dem Tode bewahrt. Von einem Skelett
gerettet, dachte er. Wahrlich, eine wundersame Mär. Er
holte seine Schätze aus dem Versteck, das Gold gewann
wieder Gewicht, sobald er es aus dem Zaubermantel holte, die Juwelen lagen schwer in seiner Hand; und er gab
ihr alles. «So unterwerfe ich mich deiner Macht,,, sagte
er. «Wenn du mich bestiehlst, kann ich nichts dagegen
tun.»
«Du verstehst nicht, antwortete sie. «Du hast längst weit
größere Macht über mich erlangt, als dass ich mich ihr je
entziehen könnte.»
Er verstand sie tatsächlich nicht auf Anhieb; und sie
wusste weder, wie sie das Wort «Liebe» aussprechen
sollte, noch konnte sie das unerwartete Aufkeimen dieser
Gefühlsregung erklären. So war es letztlich ein Geheimnis, das ihn davor bewahrt hatte, als Dieb überführt zu
werden, und als man ihn für den Elefanten vorbereitete,
ihm die Fessel von den Händen nahm und einen Augenblick gewährte, damit er seinen Schöpfer bitten konnte,
gnädig mit ihm zu sein, wenn er vor ihn trat, begriff er,
dass Skelett auch diese Möglichkeit vorhergesehen hatte,
zog aus dem Versteck, in das bei einer Durchsuchung
niemand gerne schaut, jene winzige Phiole, die den perfekt nachgeahmten Duft des Herrschers enthielt, narrte so
den blinden alten Elefanten und rettete sich selbst das
Leben.
Der Herrscher sprach. Der Augenblick, den er sich erhofft hatte, war gekommen. «Nun, Kerl, wie auch immer
Ihr heißen mögt», sagte Akbar. «Schluss mit all den
Winken und Andeutungen, Eure Geschichte gehört endlich erzählt. Heraus damit, und zwar rasch, ehe wir unsere gute Laune verlieren.»
Als Hiran, der Elefant, sich den Fremden auf seinen
Rücken setzte, als wäre er ein Mogulprinz, hatte der Reiter plötzlich begriffen, wie er anfangen musste. Ein
Mann, dachte er, der seine Geschichte stets mit denselben
Worten erzählt, wird schnell als ein Lügner entlarvt, der
sein Märchen allzu gut eingeübt hat. Es

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