Rushdie Salman
sollte
sie die Sprache der Blumen beherrschen, wenn sie Betten
oder Sofas herrichtet oder auch ein Gemach dekoriert:
Kirschenzweige stehen für die Treue, Narzissen für die
Freude, Lotus für Reinheit und Wahrheit. Die Weide ist
die Frau, die Pfingstrose der Mann. Granatapfelknospen
verheißen Fruchtbarkeit, die Olive bringt Ehre, und
Kienzapfen bedeuten Reichtum und ein langes Leben.
Die Winde aber sollte stets vermieden werden, denn sie
kündet vom Tod.»
Im Harem des Herrschers hausten die Konkubinen in
roten, mit dicken Kissen gepolsterten Steinzellen. Rund
um einen zentralen Hof; über dem eine mit Spiegeln
durchsetzte Markise den Harem vor der Sonne und unwürdigen Blicken schützte, reihten sich dicht an dicht
ihre Zellen, Ställe für eine Liebesarmee, wie für Milchvieh. Eines Tages wurde Mogor das Privileg gewährt,
Akbar in diese verborgene Welt begleiten zu dürfen. Ihm
folgte ein schlanker Eunuch, dessen Leib kein einziges
Haar verunstaltete. Das war Umar der Ay’yar; er hatte
keine Augenbrauen, sein Schädel schimmerte blank wie
ein Helm, die Haut war faltenlos und weich. Es ließ sich
unmöglich schätzen, wie alt er war, doch ahnte Mogor
instinktiv, dass dieser seiden glatte Jüngling ohne Skrupel töten konnte, dass er dem besten Freund den Kopf
abschlagen würde, falls der Herrscher dies wünschte. Die
Frauen des Harems bewegten sich um sie herum in Bahnen, die Mogor an Sterne erinnerten, an die Kreise und
Spiralen der Himmelskörper; die sich - jawohl! - um die
Sonne bewegten. Er berichtete dem Herrscher von dem
neuen, heliozentrischen Modell des Universums, redete
aber mit leiser Stimme, denn diese Gedanken konnten
einen Mann daheim wegen Ketzerei auf den Scheiterhaufen bringen. Also sollte man derlei wohl besser nicht laut
hinaus posaunen, auch wenn es höchst unwahrscheinlich
war; dass der Papst ihn hören konnte, hier; mitten im
Harem des Großmoguls.
Akbar lachte. «Das wissen wir doch schon seit aberhundert Jahren», sagte er. «Was kommt Ihr wiedergeborenen
Europäer mir doch zurückgeblieben vor! Wie ein Säugling, der die Rassel aus der Wiege wirft damit sie kein
Geräusch mehr macht.» Mogor nahm diese Zurechtweisung hin und wechselte das Thema. «Ich wollte damit nur
sagen, dass Euer Majestät die Sonne ist und dies sind
Eure Satelliten», fuhr er fort. Der Herrscher klopfte ihm
auf den Rücken. «Allerdings könnt Ihr uns auf dem Gebiet des Süßholzraspelns offenbar noch das ein oder andere beibringen. Wir werden unserem Oberschmeichler
Bhakti Ram Jain sagen, er möge sich einige Anregungen
bei Euch holen.»
Still und leise wie Geisterwesen aus einem Traum umkreisten Konkubinen die beiden Männer. Sie rührten die
Luft um den Herrscher zu einer magischen Suppe an,
abgeschmeckt mit den Gewürzen der Erregung. Und sie
kannten keine Eile. Dem Herrscher war alles untertan,
sogar die Zeit ließ sich in die Länge ziehen oder anhalten.
Sie hatten alle Zeit der Welt.
«In der Kunst ihre Zähne und Kleider; ihre Fingernägel
und ihren Leib zu tönen, zu färben, zu bemalen und zu
schmücken, sollte eine Frau unvergleichlich sein», sagte
der Herrscher; dem die Worte vor lauter Lust nur noch
träge über die Lippen kamen. Wein wurde in goldenen
Glaskelchen gereich~ und er trank mit großen, unklugen
Schlucken. Man brachte eine Pfeife, und bald umwölkte
Opiumrauch seine Pupillen. Die Konkubinen waren näher gerückt kreisten enger um sie herum, begannen mit
ihren Leibern, den Herrscher und seinen Gast zu streifen.
In der Gesellschaft des Herrschers war man für einen Tag
selber Herrscher. Seine Privilegien wurden zu den eigenen Vorrechten. «Eine Frau sollte wissen, wie man Musik auf Gläsern spielt, die unterschiedlich mit diversen
Flüssigkeiten gefüllt wurden», lallte der Herrscher. «Sie
sollte Buntglas in den Boden einsetzen können, sollte
wissen, wie man ein Bild rahmt und aufhängt, wie man
eine Halskette macht, einen Rosenkranz, eine Blütengirlande und wie man Wasser aus einem Aquädukt oder
einer Zisterne holt. Sie sollte sich mit Düften auskennen.
Und mit Zierrat für die Ohren. Sie sollte schauspielern,
sollte Theaterstücke aufführen können, sollte ihre Hände
flink und präzise zu gebrauchen wissen, sollte kochen,
Limonade oder Sorget machen, Schmuck tragen und einem Mann den Turban binden. Und sie sollte natürlich
Zauberei beherrschen. Eine Frau, die sich in diesen wenigen Dingen auskennt, kann es fast mit jedem
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