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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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selbst eine Gutenachtgeschichte.
«Am Anfang», begann sie gedankenverloren, «waren
drei Freunde: Niccolo „Il Machia“, Agostino Vespucci
und Antonio Argalia. Die Welt ihrer Kindheit war ein
Zauberwald. Dann wurden Ninos Eltern von der Pest
dahingerafft. Er ging, um sein Glück zu suchen, und sie
haben ihn nie wieder gesehen.»
Als sie diese Worte hörten, vergaßen beide Männer die
Gegenwart und versanken in Erinnerungen. Niccolos
Mutter Bartolomea de’ Nelli, die Krankheit mit Grießbrei
heilen konnte, war plötzlich gestorben, nur kurz nachdem
die neunjährige Waise Argalia in Richtung Genua aufgebrochen war, um in die Dienste der mit Arkebusen
bewaffneten Miliz des condottiere Andrea Doria einzutreten. Niccolos Vater Bernardo hatte sich größte Mühe
gegeben, eine Polentakur anzurühren, aber Bartolomea
hatte trotzdem das Zeitliche gesegnet, fieberheiß und vor
Kälte zitternd. Seither war Bernardo nicht mehr derselbe.
Er lebte jetzt meist draußen auf dem Hof in Percussina,
hielt sich irgendwie über Wasser und gab sich die Schuld
daran, dass es ihm an jenen Kochkünsten fehlte, die seiner Frau geholfen hätten, am Leben zu bleiben. «Hätte
ich bloß aufgepasst», sagte er wohl hundertmal am Tag,
«dann hätte ich das richtige Rezept gekannt. Stattdessen
habe ich ihr nur die Arme mit nutzlosem heißem Brei
beschmiert, weshalb sie angeekelt von mir ging.» Und
während Il Machia an seine verstorbene Mutter und seinen ruinierten Vater dachte, erinnerte sich Ago daran,
wie Argalia sie verlassen hatte, ein zerlumpter Streuner,
an einem Stock über der Schulter ein Bündel mit seiner
Habe. «An dem Tag, an dem er von uns ging», sagte er
laut, «haben wir aufgehört, Kinder zu sein.» Doch das
war nicht, was er dachte, zumindest nicht alles. «Und es
war der Tag, an dem wir die Alraune fanden», fügte er
stumm hinzu, und ein Gedanke begann in seinem Kopf
Gestalt anzunehmen, ein Plan, der Alessandra Fiorentina
zu seiner lebenslangen Liebessklavin machen sollte.
    Es irritierte Alessandra, dass sie so abgelenkt wirkten,
doch war sie viel zu vornehm, um sich etwas anmerken
zu lassen. «Was seid ihr doch für zwei kaltherzige
Nichtsnutze», schalt die Kurtisane, ohne ihre tiefe, rauchige, gleichgültig klingende Stimme auch nur um einen
Ton anzuheben. «Bedeutet er euch denn gar nichts, der
Name eures verlorenen besten Freundes, von dem ihr
neunzehn Jahre lang kein Wort gehört habt?»
Ago war zu sprachlos, um etwas zu erwidern, doch waren
neunzehn Jahre in Wahrheit eine lange Zeit. Sie hatten
Argalia geliebt, hatten ihn verloren und Monate, gar Jahre gehofft, von ihm zu hören. Schließlich erwähnten sie
seinen Namen nicht mehr, da sie beide überzeugt waren,
Argalias Schweigen müsse bedeuten, dass ihr Freund tot
sei, auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollten. Also
hatten sie die Erinnerung an Argalia in sich vergraben,
denn solange sein Name tabu blieb, lebte er vielleicht
noch. Dann aber wuchsen sie heran, und sie verloren ihn
irgendwo tief in sich, die Erinnerung verblasste, bis sie
nur noch ein verschwiegener Name war. Es fiel schwer,
ihn sich ins Leben zurückzurufen.
Am Anfang waren drei Freunde, die jeder für sich auf
Reisen gingen. Ago hasste das Reisen, doch war es ihm
vorherbestimmt, den steinigen Weg der Liebe einzuschlagen. Il Machia sah besser aus, interessierte sich aber
mehr für das Streben nach Macht, einem weit verlässlicheren Aphrodisiakum als jede Zauberwurzel. Und Argalia, Argalia war am Himmel verschollen, er war ihr Zugvogel … «Sind es schlechte Neuigkeiten?», fragte Niccolo. «Verzeiht. Wir haben uns fast ein Leben lang vor diesem Moment gefürchtet.»
Alessandra deutete auf eine Nebentür. «Bring die beiden
zu ihr», sagte sie zu Giulietta Veronese. «Ich bin zu müde, um jetzt Fragen zu beantworten.» Mit diesen Worten
legte sie den Kopf auf den rechten Arm und versank in
Schlaf, während ihrer vollkommenen Nase die fast lautlose Ahnung eines leisen Schnarchens entwich. «Ihr habt
sie gehört», sagte die Zwergin Giulietta barsch, «Zeit, zu
gehen.» Doch dann bewies sie ein wenig Mitleid und
fügte hinzu: «Ihr werdet all Eure Antworten hier drinnen
finden.»
    Hinter der Tür befand sich ein weiteres Schlafgemach,
doch die Frau da drinnen schlief nicht und war auch nicht
nackt. Das Zimmer wurde nur spärlich erleuchtet - eine
einzelne Kerze in ihrem Halter an der Wand war schon
fast herab gebrannt -, und als sich die

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