Rushdie Salman
aufgeknüpft wurden,
tauchte der wahre Florentiner wieder aus der Versenkung
auf, und das hieß, dass Männer wieder Händchen hielten
und, wo man auch hinsah, einander küssten. «Buonaccorsi und di Romolo müssen ihre Liebe endlich nicht mehr
verstecken», sagte Il Machia. «Ich denke übrigens daran,
die beiden einzustellen, dann kannst du ihnen zusehen,
wenn sie im Kontor übereinander herfallen, während ich
in Amtsgeschäften unterwegs bin.»
«Es gibt nichts, was diese beiden Verrückten mir zeigen
könnten», erwiderte Ago, «das ich nicht bereits gesehen
hätte, und damit meine ich auch die erbärmlichen
Pfläumchen in ihren Hosen.»
Erneuerung, Regeneration, Wiedergeburt. In Agos Kirche in Ognissanti, ein Gebäude, das er freiwillig nur betrat, wenn sich herumsprach, dass eine große Kurtisane
dort ihren Liebreiz zur Schau stellte, schworen die Gläubigen, Giottos strenge Madonna habe über das ganze
Gesicht gegrinst. An diesem Abend aber vor der Kirche
von Orsanmichele, in der sich die vornehmsten Kurtisanen wiedertrafen, gekleidet nach neuester Mailänder Mode und mit dem Schmuck ihrer Gönner behängt - wurden
Niccolo und Ago von einer ruffiana angesprochen, von
Giulietta Veronese, der zwergenhaften Kupplerin und,
wie manche behaupteten, sapphischen Geliebten Alessandra Fiorentinas, der gefeiertsten Nachtdame von ganz
Florenz. Die Veroneserin lud sie zur Gala der Wiedereröffnung des Hauses Mars ein, dem ersten Salon der
Stadt, benannt nach jener Statue des Kriegsgottes, die
lange am Flussufer des Arno gestanden hatte, ehe sie
schließlich von einer Flut fortgespült worden war. Das
Haus befand sich an der Nordseite des Flusses nahe des
Ponte alle Grazie. Die Einladung war äußerst ungewöhnlich. La Fiorentinas Netz an Informanten funktionierte
gewiss außerordentlich schnell und gut, doch selbst wenn
sie bereits von Il Machias neuem Amt als Sekretär der
Zweiten Kanzlei gehört haben sollte, rechtfertigte dies
keineswegs seine Aufnahme in die erlesenste und exklusivste Gesellschaft von Florenz; und dass er den noch
weit unbedeutenderen Ago Vespucci mitbringen durfte,
glich einem schlichtweg beispiellosen Privileg.
Sie kannten natürlich Bilder von Alessandra, hatten sie in
einem Band mit Miniaturen angehimmelt, ihr langes
blondes Haar, das Erinnerungen an die verstorbene Simonetta weckte, deren verstörter Gatte Marco, der Gehörnte, nach ihrem Tod vergeblich um Einlass in La Fiorentinas Salon gebettelt hatte. Er heuerte gar einen der
führenden mevani, also Kuppler, der Stadt an, um mit
Alessandras ruffiana zu verhandeln, und der Lude hatte
im Namen des Gehörnten Marco Liebesbriefe geschrieben, Serenaden unter Alessandras Abendfenster singen
und für den Dreikönigsabend als besonderes Geschenk
sogar ein Sonett von Petrarca in goldenen kalligraphischen Lettern abschreiben lassen, doch blieb Marco die
Tür zum Salon verschlossen. «Meine Herrin», sagte Giulietta Veronese dem mevano, «ist nicht daran interessiert,
die nekrophilen Phantasien eines verrückten Hahnreis zu
befriedigen. Sagt Eurem Herrn, er möge sich ein Loch in
ein Bild seiner verstorbenen Gattin bohren und lieber die
Leinwand rammeln.»
Eine Woche nach dieser Absage erhängte sich Marco
Vespucci.
Seine Leiche baumelte vom Ponte alle Grazie herab, aber
Alessandra Fiorentina hatte sie nie gesehen. Sie stand am
Fenster und striegelte ihre langen goldenen Strähnen,
doch es war, als sei Marco, der Liebesnarr, ein unsichtbarer Mann, denn Alessandra hatte schon vor langem die
Kunst perfektioniert, nur zu sehen, was sie sehen wollte;
da dies zu den elementarsten Fähigkeiten zählte, wollte
man zu den Gebietern der Welt und nicht zu ihren Opfern
zählen. Ihre Sicht schuf die Stadt. Wen sie nicht sah, den
gab es nicht. Der ungesehen vor ihrem Fenster verendende Marco Vespucci starb ein zweites Mal durch ihren
auslöschenden Blick.
Einmal, vor einem Jahrzehnt, als sie noch in der Blüte
ihrer Jugend standen, hatten Niccolo und Ago, die beiden
Jungen, Alessandra angehimmelt, als sie sich auf offenem Balkon rekelte, über den Arno schaute und sich auf
rotem Samtkissen vorbeugte, sodass alle Welt ihr edles
Dekollete bewundern konnte, während sie vorgab, ein
Buch zu lesen, vermutlich Boccaccios Decamerone. Die
puritanischen Jahre schienen weder ihrer Schönheit noch
ihrer gesellschaftlichen Stellung Abbruch getan zu haben.
Sie besaß jetzt ihren eigenen Palast, war die Königin des
Hauses Mars
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