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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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Theorie, der
Herrscher könnte aus der Hölle einen Dämon der Lust
heraufbeschworen haben. Er mochte Vespucci nicht, weil
der Fremde als einziger Kunde des Hauses Skanda frei
über Madame Skelett verfügen konnte; und trotz der immer hektischer werdenden Gefälligkeiten von Dame Man
Bai war des Kronprinzen Sehn-sucht nach Mohini im
Laufe der Jahre noch gewachsen. «Ich bin der nächste
Herrscher», sagte er sich wütend, «und dennoch verweigert man mir in diesem arroganten Lusthaus die einzige
Frau, nach der es mich verlangt.» Die Dame Man Bai
reagierte äußerst ungehalten, als sie erfuhr, dass ihr Verlobter sich noch immer sehnlichst wünschte, die einstige
Sklavin zu vögeln. Ihre Wut paarte sich mit dem Hass auf
jene Traumprinzessin, die Vespucci heimlich in die
Träume all ihrer Bekannten geschmuggelt hatte, und
schwoll zur suppenden Eiterbeule ihrer Psyche an, die
irgendwie, vermutlich mit Gewalt, aufgestochen werden
musste.
Als sich Salim das nächste Mal dazu herabließ, ihr einen
Besuch abzustatten, gab sie sich so verführerisch, wie sie
nur konnte; sie steckte sich eine Traube zwischen die
Zähne, damit er mit der Zunge danach angelte. «Wisst Ihr
eigentlich, mein Lieber, welche Folgen, welche weitreichenden und gefährlichen Folgen es für Euch hat, wenn
dieser Mogor den Herrscher von seiner Abstammung zu
überzeugen vermag,,, murmelte sie ihrem Geliebten fragend ins Ohr, «oder, was noch wahrscheinlicher ist, wenn
der Herrscher aus Gründen, die nur er selbst kennt, an
diese Abstammung zu glauben vorgibt?,, Prinz Salim war
für gewöhnlich darauf angewiesen, dass andere Menschen ihm derart Komplexes wie die weitreichenden Folgen eines Sachverhalts darlegten, weshalb er Dame Man
Bai bat, sie ihm zu erläutern. «Versteht Ihr denn nicht, 0
künftiger König von Hindustan,,, schnurrte sie, «dass
Eurem Vater dadurch die Behauptung ermöglicht würde,
ein anderer habe größeres Anrecht auf den Thron als Ihr?
Und was wäre - sollte das zu weit hergeholt klingen -,
wenn er diesen Speichellecker als seinen Sohn adoptierte? Ist Euch der Thron etwa nicht mehr wichtig? Oder
werdet Ihr darum kämpfen, mein Lieber? Als die Frau,
die sich nichts sehnlicher wünscht, als künftig Königin an
Eurer Seite zu sein, täte es mir leid, wenn ich erfahren
sollte, dass Ihr kein König in spe mehr seid, sondern nur
noch ein Käfer ohne Rückgrat.,,
Sogar die engsten Vertrauten des Herrschers reagierten
mit zunehmender Skepsis und wachsendem Misstrauen
gegenüber Mogor dell’ Amores wahren Absichten und
seiner Anwesenheit am Hofe. Die Königinmutter Hamida
Bano hielt ihn für einen Agenten des ungläubigen Westens, der geschickt worden war, ihr heiliges Königreich
zu schwächen und in Verwirrung zu stürzen. Nach Ansicht von Birbal und Abul Fazl war er zweifellos ein übler Schurke, der wegen einer grausigen Tat von daheim
geflohen war, ein Betrüger, der sich in ein neues Leben
drängte, da ihm das alte nicht länger lebenswert schien.
Vielleicht wollte man ihn verbrennen, ihn aufhängen,
vierteilen oder doch zumindest foltern und einsperren,
falls er dorthin zurückkehrte, woher er kam. «Wir sollten
uns nicht wie die ahnungslosen, leichtgläubigen Menschen aus dem Osten benehmen, für die er uns offenbar
hält», sagte Abul Fazl. «Was zum Beispiel den Tod von
Lord Hauksbank betrifft, so habe ich nie an seiner Schuld
gezweifelt.»
Birbals Sorge galt dem Herrscher selbst. «Ich glaube
nicht, dass er Euch ein Leid zufügen will», sagte er,
«doch hat er Euch mit einem Zauber belegt, der Euch
letzten Endes schaden mag, da er Euch von jenen wichtigen Dingen ablenkt, denen Euer Augenmerk eigentlich
gelten sollte.»
Der Herrscher war keineswegs überzeugt und neigte zu
Mitgefühl. «Er ist ein Heimatloser, der einen Platz in der
Welt sucht», sagte er zu seinen Vertrauten. «Am Fuße
des Hügels hat er sich im Haus Skanda, einer Stätte des
Vergnügens, eine Art Heim geschaffen und lebt unter
eheähnlichen Umständen mit einer klapperdürren Hure
zusammen. Wie sehr muss es ihn da nach Liebe verlangen! Einsamkeit ist des Wanderers Los; er ist ein Fremdling, wohin er auch geht, und überlebt allein durch pure
Willenskraft. Wann hat ihn zuletzt eine Frau gelobt und
ihn ihren Schatz genannt? Wann hat er sich zuletzt geliebt, geehrt oder auch nur geachtet gefühlt? Wenn einen
nicht nach einem anderen Menschen verlangt, beginnt
etwas zu sterben. Der Optimismus versiegt, 0

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