Rushdie Salman
bis sich die Pforten
des Todes vor ihm auftaten. Also entließ er die Quacksalber, und sobald er wieder bei Kräften war, entschied
er, wenn er schon nicht geheilt werden konnte, bliebe
ihm wohl nichts anderes übrig, als sich derart gründlich
abzulenken, dass er den Juckreiz nicht mehr spürte.
Er rief die berühmtesten Narren seines Reiches zu sich,
damit sie ihn zum Lachen brachten, außerdem die weisesten Philosophen, damit sie seine Verstandeskraft herausforderten. Liebestänzerinnen weckten sein Verlangen, das die geschicktesten Kurtisanen stillten. Er baute
Paläste, Straßen, Schulen und Rennbahnen, und all dies
war wohlgefällig, doch linderte es den Juckreiz nicht im
Mindesten. Er ließ über ganz Isbanir Quarantäne verhängen und die Gossen ausräuchern, um die Juckplage an
ihrer Wurzel zu packen, doch gab es in Wahrheit nur
wenige Leute, die so schlimm wie er unter der juckqual
litten. Als er dann eines Nachts heimlich und verstohlen
durch die Straßen Bagdads lief, sah er hoch oben in einem Fenster eine Laterne, und während er aufblickte,
erhaschte er das Gesicht einer Frau, von einer Kerze erhell~ weshalb es ihm wie aus Gold erschien. Für diesen
einen kurzen Moment hörte der Juckreiz vollständig auf,
in derselben Sekunde aber, da sie die Läden schloss und
die Kerze ausblies, meldete er sich mit verdoppelter Stärke zurück. Erst jetzt begriff der Kalif, warum er diese
Qualen litt. In Isbanir nämlich hatte er ebendieses Gesicht einen gleich kurzen Moment lang aus einem anderen Fenster blicken sehen, und danach begann das jucken. «Finde sie», sagte er seinem Wesir, «denn sie ist
die Hexe, die mich verzaubert hat.»
Leichter gesagt als getan. Die Männer des Kalifen brachten ihm an jedem der nächsten sieben Tage jeweils sieben
Frauen, doch wenn er ihnen befahl, ihm ihr Gesicht zu
zeigen, sah er sogleich, dass die Gesuchte nicht darunter
war. Am achten Tag jedoch kam eine verschleierte Frau
ungebeten an seinen Hof, verlangte eine Audienz und
behauptete, diejenige zu sein, die den Kalifen heilen
könne. Harun al-Rashid bat sie gleich zu sich. «Ihr seid
also die Hexe!», rief er. «Ich bin nichts dergleichen»,
antwortete sie. «Doch seit ich in den Straßen von Isbanir
einen Blick auf das von einer Kapuze verdeckte Gesicht
eines Mannes geworfen habe, hat mich ein unerträgliches
jucken überfallen. Ich verließ sogar meine Heimatstadt
und zog hierher nach Bagdad, in der Hoffnung, der Umzug würde mein Leid lindern, doch nichts hat geholfen.
Ich habe versuch~ mich abzulenken, mich zu beschäftigen, habe große Teppiche gewebt und viele Gedichte
geschrieben, aber genützt hat es nichts. Dann hörte ich,
dass der Kalif von Bagdad nach einer Frau such~ deren
Anblick einen Juckreiz bei ihm ausgelöst hatte, und da
kannte ich die Antwort auf dieses Rätsel.»
Mit diesen Worten schlug sie kühn den Schleier zurück,
und auf der Stelle legte sich der Juckreiz des Kalifen und
wurde von einem völlig anderen Gefühl verdrängt. «Bei
dir auch?»fragte er, und sie nickte. «Kein jucken mehr.
Stattdessen etwas anderes.» - «Auch eine Empfindung,
die kein Mann heilen kann», sagte Harun al-Rashid.
«Und in meinem Fall keine Frau», erwiderte sie. Der
Kalif klatschte in die Hände und kündete seine bevorstehende Hochzeit an; und er und die Begum lebten glücklich bis, ja bis der Tod kam, das Ende aller Tage.
Dies war der Traum des Herrschers. Kaum verbreitete
sich in den edlen Villen Sikris und den gemeinen Gassen
der Stadt die Geschichte der verschwiegenen Prinzes-
sin, erfasste die Hauptstadt ein träges Delirium. Ohne
Unterlass begann man, von der Schönen zu träumen,
Frauen wie Männer, Höflinge wie Straßengören, sadhus
wie Huren. Die verschwundene Mogulzauberin aus dem
fernen Herat, das Argalia, ihr Geliebter, später einmal das
«Florenz des Ostens» nennen sollte, bewies, dass ihre
Macht weder vom Lauf der Jahre noch gar von ihrem
höchstwahrscheinlichen Tod geschmälert worden war.
Sie verzauberte selbst die Königinmutter Hamida Bano,
die gewöhnlich gar keine Zeit für Träume hatte, jene Qara Köz aber, die Hamida Bano im Schlaf sah, war der
wahre Inbegriff muslimischer Hingabe und züchtigen
Benehmens. Keinem fremden Ritter wurde es gestattet,
ihre Reinheit zu beschmutzen; die Trennung von ihrem
Volk bereitete der Prinzessin großen Kummer, obwohl
daran, das muss hier gesagt werden, ihre ältere Schwester
die Schuld trug. Die alte
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