Rushdie Salman
Anweisung seines Vaters missachtet, die Augenbinde abgenommen und stundenlang die nackte Frauenschar angestiert. Kaum erfuhr
Akbar davon, befahl er, seinen Sohn zu verhaften. Abul
Fazl schlug für des Prinzen Vergehen die angemessenste
Strafe vor. Am nächsten Morgen wurde Salim auf einem
großen Platz vor dem Harem nackt ausgezogen und von
den Haremswachen verprügelt, sowohl von Eunuchen als
auch von Frauen mit Ringerinnenfigur. Sie schlugen ihn
mit Stöcken und bewarfen ihn mit kleinen Steinen und
mit Erdklumpen, bis er um Gnade und Vergebung winselte. So blieb es nicht aus, dass sich der trunksüchtige,
opiumverwirrte Prinz eines Tages an Abul Fazl und auch
dem Herrscher von Hindustan rächen wollte.
Ein zweites, trauriges Ergebnis des Tages der Nackten
war, dass sich die alte Prinzessin Gulbadan eine Erkältung zuzog, und von da an ging es rasch mit ihr bergab.
Kurz vor ihrem Ende bat sie den Herrscher zu sich und
versuchte, den Ruf der verstorbenen Khanzada Begum zu
retten. «Als Euer Vater aus den langen Jahren des persischen Exils heimkehrte und Euch endlich wiedersah»,
sagte sie, «war es Khanzada Begum, die sich um Euch
kümmerte, denn Hamida Bano war natürlich nicht da.
Vergesst nie, wie sehr Khanzada Euch geliebt hat. Sie hat
Eure Hände und Füße geküsst und gesagt, sie erinnerten
sie an die Hände und Füße Eures Großvaters. Was immer
also mit Qara Köz gewesen sein mag, vergesst nicht, was
Khanzada für Euch getan hat. Eine schlechte Schwester
kann eine liebevolle Großtante sein.» Gulbadan hatte sich
stets bemüht, Klarheit in die Vergangenheit zu bringen,
doch jetzt begann sie, verwirrt zu werden, und sprach
Akbar manchmal mit «Humayun» an, dem Namen seines
Vaters, manchmal sogar mit dem seines Großvaters. Es
war, als versammelten sich in Gestalt Akbars alle drei
Mogulherrscher an ihrem Bett, um Wache zu halten,
wenn ihre Seele diese Welt verließ. Nach Gulbadans Tod
packte Hamida Bano schreckliche Reue. «Ich habe sie
geschubst», sagte sie. «Habe sie so gestoßen, dass sie
beinahe hingefallen wäre, dabei war sie von uns beiden
die Ältere. Ich habe sie nicht geehrt, und jetzt lebt sie
nicht mehr.»
Akbar tröstete seine Mutter. «Sie weiß, wie sehr Ihr sie
geliebt habt», sagte er. «Sie wusste, dass eine Frau eine
schlechte Schubserin, aber eine gute Freundin sein
kann.»
Doch die Königinmutter blieb untröstlich. «Sie hat immer so jung gewirkt», sagte sie. «Dem Engel ist ein Fehler unterlaufen. Ich bin diejenige, die nur darauf wartet,
sterben zu können.»
Sobald die vierzig Tage der Trauer für Gulbadan vorüber
waren, rief der Herrscher den Fremdling zum Palast der
Träume. «Ihr braucht zu lange», sagte er zu Mogor
dell’Amore. «Ihr könnt das nicht ewig hinziehen, wisst
Ihr. Höchste Zeit, dass der Bericht zum Ende kommt.
Erzählt einfach die ganze verdammte Geschichte, so
schnell Ihr könnt - und bitte, bringt nicht wieder die ganze Frauenwelt gegen Euch auf.»
«Schirmherr der Welt», erwiderte Mogor mit einer tiefen
Verbeugung, «nichts täte ich lieber, als meine ganze Geschichte zu erzählen, denn nach nichts verlangt den Menschen mehr als eben danach. Doch um Dame Schwarzauge in die Arme von Argalia, dem Türken, zu führen,
muss ich erst gewisse militärische Entwicklungen bei den
mächtigsten Machthabern zwischen dem Land Italien
und jenem von Hindustan erklären, womit natürlich
Wurmholz Khan, der Kriegsherr der Usbeken, Schah
Ishmael oder Ismail, der Safawidenkönig Persiens und
der Sultan des Osmanischen Reiches gemeint sind.»
«Ach, verflucht seien alle Geschichtenerzähler», rief Akbar verärgert und nahm einen kräftigen Schluck aus dem
rotgoldenen Pokal. «Und die Pest über Eure Kinder.»
15. Die alten Kartoffelhexen am Kaspischen Meer …
Die alten Kartoffelhexen am Kaspischen Meer setzten
sich hin und weinten. Laut schluchzten sie und stießen
wilde Klagelaute aus. Ganz Transoxanien trauerte, denn
der große Shaibani Khan, der mächtige Lord Wurmholz,
Herrscher über das wilde Chorasan, Herr über Samarkand, Herat und Buchara, Spross jenes einzigen wahren
Stammes, dem Dschingis Khan entsprang, Überwinder
von Babar, dem Emporkömmling unter den Moguln …
«Es ist vielleicht keine so gute Idee», sagte der Herrscher
leise, «in unserer Gegenwart die Prahlereien dieses
Schurken über meinen Großvater zu wiederholen. »
… Shaibani, der Verächtliche, der primitive Gauner, gefallen in der
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