Rushdie Salman
wusste, wie
groß ihr Zauber tatsächlich war.»
Qara Köz: Man stelle sie sich in Täbris vor, der Hauptstadt der Safawiden, umschmeichelt von den feinsten
Teppichen des Schahs, darauf hingestreckt wie Kleopatra
auf Cäsars Persern. In Täbris waren sogar die Berge mit
Geknüpftem ausgelegt, da auf ihren Flanken die Teppiche zum Trocknen ausgebreitet wurden. In den königlichen Gemächern wälzte sich Dame Schwarzauge auf
Perserteppichen, als wären sie die Leiber ihrer Geliebten.
Und immer stand in einer Ecke ein dampfender Samowar. Gierig schlang sie mit Pflaumen und Knoblauch
gefülltes Huhn in sich hinein, aß Garnelen mit Tamarindenpaste oder Kebab mit Duftreis, doch blieb sie rank
und schlank. Mit Spiegel, ihrer Leibdienerin, spielte sie
Backgammon und wurde zur besten Spielerin am persischen Hof, allerdings vergnügte sie sich mit Spiegel auch
noch bei anderen Spielen, kicherten und glucksten die
beiden Mädchen doch hinter den verschlossenen Türen
ihres Schlafgemachs, weshalb nicht wenige Höflinge sie
für ein Liebespaar hielten, auch wenn kein Mensch, weder Frau noch Mann, dergleichen laut zu sagen wagte, da
ein solches Gerücht den Kopf gekostet hätte. Wenn Qara
Köz dem jungen König beim Polo zusah, stieß sie Seufzer erotischer Ekstase aus, sooft er seinen Schläger
schwang, und das Volk begann zu glauben, ihr Stöhnen
und juchzen verzaubere den Ball, der unweigerlich ins
Tor traf, während die Schläger der Verteidiger harmlos
durch die Luft schnitten. Sie badete in Milch. Sie sang
wie ein Engel. Sie las keine Bücher. Sie war einundzwanzig Jahre alt und wurde nicht schwanger. Eines Tages, als Ismail davon sprach, dass sein Gegner im Westen, der Osmanensultan Bayezid H., immer mächtiger
werde, murmelte sie ihm tödlichen Rat ins Ohr.
«Schickt ihm einfach Euren Pokal», sagte sie, «jenen, der
aus dem Schädel von Shaibani Khan gefertigt wurde,
gleichsam zur Warnung, damit er weiß, was ihm blüht,
wenn er vergisst, welcher Platz ihm gebührt.»
Sie fand seine Eitelkeit verführerisch und war in seine
Schwächen verliebt. Ein Mann, der sich für einen Gott
hielt, schien ihr genau der richtige Mann zu sein. Gut
möglich, dass ihr ein König nicht genügte. «Wahrhaftiger
Gott!», rief sie, wenn er sie nahm. «Mein absoluter Vollbringer!» Das gefiel ihm natürlich, und da er für Lob
anfällig war, bedachte er nie die Autonomie großer
Schönheit, die keinem Menschen gehört, die nur sich
selbst gehört und dahin treibt, wohin der Wind sie weht.
Obwohl Qara Köz alles für ihn aufgegeben hatte und ihre
Welt mit einem einzigen Blick veränderte, ihre Schwester, ihren Bruder und ihre übrige Familie verließ, um in
Gesellschaft eines hübschen Fremden gen Westen zu
reisen, hielt Schah Ismail in seiner ungeheuren Selbstverliebtheit solch radikalen Entschluss für ganz natürlich, tat
sie es doch um seinetwillen. Folglich konnte er das Wandernde in ihr nicht sehen, das Entwurzelte. Löst sich aber
eine Frau so leichthin aus allen Zusammenhängen, kann
sie derlei jederzeit wieder tun.
Es gab Tage, da wollte sie Bosheit: seine und ihre. Im
Bett flüsterte sie, sie habe eine böse Seite, ein böses Ich,
und wenn diese Seite die Oberhand gewinne, sei sie für
ihre Handlungen nicht länger verantwortlich, dann könne
sie alles tun, einfach alles. Das erregte ihn aufs äußerste.
In der Liebe war sie ihm mehr als ebenbürtig, da war sie
seine Königin. Nach vier Jahren hatte sie ihm noch keinen Sohn geboren. Egal. Sie war ein Fest für die Sinne,
eine Frau, für die Männer töteten. Er lechzte nach ihr und
war zugleich ihr Lehrer. «Ihr wollt also, dass ich Bayezid
den ShaibaniPokal schicke?», raunte er mit belegter
Stimme wie im Rausch. «Dass ich ihm den Schädel eines
anderen Mannes schicke?»
«Trinkt Ihr aus dem Schädel Eures Feindes, ist das für
Euch ein großer Triumph», wisperte sie, «trinkt aber
Bayezid aus dem Schädel Eures besiegten Gegners, wird
Furcht sein Herz erfüllen.» Da begriff er, dass sie den
Becher mit einem Angstzauber belegt hatte. «Also
schön», sagte er. «Wir werden tun, was Ihr empfehlt.»
Der fünfundvierzigste Geburtstag Argalias war gekommen und vergangen. Er war ein großgewachsener, blassgesichtiger Mann, dessen Haut trotz der vielen Kriegsjahre noch weiß wie die eines Weibes schimmerte, Frauen
wie Männer staunten, wie weich sie war. Er liebte Tulpen
und ließ sie sich auf seine Tuniken und Mäntel sticken,
da
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