Russen kommen
Ich hatte eine sehr gute Kopie und habe die verwendet. »Ich habe eine Kopie gemacht. Aber nicht von dem Prospekt, den Zuckerbrot hat.«
»Und wo ist dann das Original?«
Ich überlege, auf Vesna kommen sie ohnehin. »Bei Vesna Krajner. Meiner Putzfrau.«
»Aber sicher. Bei Ihrer Putzfrau. Wo auch sonst.« Er sieht mich verunsichert an. »Treiben Sie keine Späßchen mit mir. Die Sache ist zu ernst.«
So geht es einem, wenn man die Wahrheit sagt. Noch etwas wird mir langsam klar: Die Polizei, zumindest die Interne Revision, glaubt nicht, dass wir tatsächlich Kontakt zu Investoren haben. Das könnte auch bedeuten, dass Professor Welser nie zur Polizei gegangen ist.
»Sie müssten außerdem wissen, dass ich Investoren kenne«, sage ich. »Einen habe ich sogar zur Polizei geschickt.« Das stimmt zwar nicht ganz, aber …
»Unsinn. Sie vergessen, dass ich alle Akten des Falls habe. Und sollten Sie doch Namen kennen, dann ist Ihnen hoffentlich klar, dass Sie sie uns nennen müssen. Sonst machen Sie sich wegen Behinderung der Ermittlungen strafbar.«
»Ich dachte, Zuckerbrot ist suspendiert worden, weil er uns alles erzählt hat? Jetzt tun Sie so, als wüsste ich mehr und würde es bloß nicht sagen. Ich kenne mich da nicht mehr aus.«
»Drehen Sie mir nicht das Wort im Mund um«, antwortet Gehringer genervt.
Ich kann ihm einen Namen nennen, ich muss ihn sogar nennen. Mir bleibt nichts anderes übrig, wenn ich Sonja eine Chance geben will. Das ist wichtiger als die Reportage. Und nachdem ich niemanden mehr bei der Polizei habe, auf den ich mich verlassen kann, ist Gehringer so gut wie jeder andere. Vielleicht gehört er in der Internen Revision wenigstens zu keiner der Cliquen, die in der Wiener Polizei gegeneinander zu arbeiten scheinen.
»Einen Namen habe ich. Ich habe sogar mehr als nur den Namen.«
»Nun?« Er sieht mich zweifelnd an.
»Sonja. Sonja Rostowjewa.«
»Den können Sie auch von Zuckerbrot haben. Wir kennen ihn. Es ist die Frau, die Dolochow am Arlberg begleitet hat.«
»Sie war seine Dolmetscherin«, präzisiere ich. Das andere, dass sie ein paarmal mit ihm geschlafen hat, ist nicht wichtig. Hat sie selbst gesagt.
»Angeblich auch das. Nichts Neues für uns.« Der Polizeijurist lehnt sich zurück. Überheblich.
»Dann wissen Sie sicher auch, dass Sonja Rostowjewa inzwischen wieder in Moskau ist. Und dass sie von denen gejagt wird, die Dolochow auf dem Gewissen haben. Sie ist untergetaucht. Ich habe sie in Moskau getroffen. Sie hat mich angefleht, ihr Geleitschutz nach Österreich zu besorgen.« Von Asyl sage ich lieber nichts, das hört man hierzulande nicht so gern. Leider.
Gehringer sitzt nun kerzengerade da. »Wie bitte?« Sieh an, sie haben es also nicht gewusst, zumindest steht nichts davon in den Akten.
»Ich weiß nicht, wer für so etwas zuständig ist«, sage ich eindringlich. »Man muss Rostowjewa aus Moskau herausbringen. Nach Österreich. Sie ist wirklich in Gefahr.«
»Es … es gibt auch in Russland Polizeibehörden. Wir arbeiten mit ihnen zusammen.«
»Dafür scheinen Sie aber reichlich wenig von Rostowjewa zu wissen. Außerdem redet sie nicht mit der russischen Miliz.«
»Sie wird es sich nicht aussuchen können«, meint Gehringer. Sieht so aus, als wäre er nachdenklich geworden.
»Es muss doch einen Weg geben, sie als Zeugin herzubringen. Vielleicht über die Botschaft.«
»An unseren russischen Kollegen vorbei? Ausgeschlossen.«
»Der Mord ist in Österreich passiert. Investoren sind im großen Stil geprellt worden, unter ihnen sind auch Österreicher. Ich weiß nicht, wie lange Rostowjewa noch durchhalten wird. Wie lange es dauert, bis man sie aufspürt. Ich glaube, sie weiß, wer der Mörder ist.«
»Sie glauben? Glauben kann man bald etwas.« Gehringer spielt nervös mit seinem Kugelschreiber.
»Es ist der einzig mögliche Grund, warum man sie verfolgt«, beharre ich, und mir wird klar: Genau so ist es.
»Dann wird es sie ja freuen, wenn sie in der nächsten Ausgabe des ›Magazins‹ vorkommt«, sagt Gehringer spöttisch.
»Sie wird nicht vorkommen. Glauben Sie wirklich, ich würde ein Leben aufs Spiel setzen?«
»Und wer sagt mir, dass Sie sich das alles nicht bloß ausgedacht haben?«, antwortet Gehringer und sieht mit einem Mal wieder sehr selbstzufrieden drein.
Ich bin daheim. Wenn mir bloß etwas einfiele, wie ich Sonja nach Wien bekomme. Möglicherweise habe ich ihre Situation noch verschlimmert, und die österreichische Polizei lässt sie jetzt
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