Russen kommen
wissen, ob man Zuckerbrot tatsächlich suspendiert hat oder ob die Telefonistin da nur etwas durcheinandergebracht hat. Warum sollte man Zuckerbrot suspendieren? Korrupt ist der sicher nicht, so gut kenne ich ihn.
»Mira, wo bist du?«, sagt Droch anstelle einer Begrüßung.
Auf einem Klo am Flughafen. Aber ich beschränke mich auf: »Am Wiener Flughafen.«
»Jetzt hast du es endlich geschafft.«
»Nicht ganz.« Erst während ich es sage, fällt mir sein Tonfall auf. »Was?«, füge ich hinzu.
»Zuckerbrot in Misskredit zu bringen.«
»Sie haben ihn wirklich suspendiert?«
»Woher …«
»Ich habe versucht, ihn anzurufen.«
»Auch das noch.«
»Wie hätte ich denn auf die Idee kommen können? Eine Telefonistin hat es mir gesagt. Was ist passiert?«
»Er ist zwischen die Fronten geraten. Es war allen klar, dass er als interimistischer Leiter mit einigem aufräumen würde, was in den letzten Jahren üblich geworden ist. Die beiden ehemaligen Chefs kämpfen auch jetzt noch erbittert gegeneinander. Und suspendiert oder nicht, sie haben ihre Anhänger innerhalb der Polizei. Zuckerbrot ist zum gemeinsamen Feind geworden. Man hat ihm den Vorwurf gemacht, dir und dem ›Magazin‹ die Russen-Geschichte verraten zu haben. Das ›Blatt‹ hat die Story heute als Aufmacher. Auch ich komme vor. Als alter Freund und Verbindungsmann.«
»So eine Sauerei … Wo er kein einziges Mal mit mir alleine gesprochen hat.«
»Du wirst aussagen müssen, wenn es zu einem Verfahren kommt.«
»Kein Problem. Wir werden dem ›Blatt‹ dort wehtun, wo es ihm am meisten wehtut: Wir werden die Russen-Story haben. Wir werden …«
»Du hast sie?«
»Nicht ganz«, muss ich zugeben. »Und ich brauche jemanden, der mich abholt. Wenn nicht Zuckerbrot, dann … Czerny, der Leiter der Soko. Dann muss ich eben mit ihm reden. Oder gibt es den auch nicht mehr?«
»Doch, den gibt es, und er hat Zuckerbrot offenbar nicht geholfen. Obwohl ihm klar sein muss, wie alles gelaufen ist. Er gehört zum Freundeskreis des ehemaligen Chefs, der … Ich werde dich abholen.«
Ich überlege. Droch hat viele Vorzüge, aber beschützen kann er mich im Fall der Fälle wohl kaum. Wird auch nicht notwendig sein. Oder doch? Polizei. Und wenn sie mit der russischen Miliz zusammenarbeitet und die wieder Auftraggeber hat, die etwas ganz anderes wollen, als die Wahrheit ans Licht zu bringen? Zuckerbrot hätte ich vertrauen können.
»Ich rufe Vesna an.«
»Mira, bist du in Gefahr?« Droch klingt besorgt.
»Ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Mach dir keine Sorgen. Wir sehen uns in der Redaktion.«
Vesna kommt mit Bruno und Slobo, und es passiert gar nichts, keinerlei Anzeichen, dass sich jemand für mich interessieren würde. Ich fühle mich wie eine Hysterikerin. Bruno fährt, Slobo sitzt neben ihm. Eindrucksvoll, die beiden. Sie könnten auch in jedem Moskauer Sicherheitsdienst Karriere machen. Vesna sagt: »Erzähle.« Und das tue ich dann auch.
Gismo ist nicht da. Ich stehe im Vorzimmer meiner Wohnung, stelle die Tasche ab.
»Oskar?«, sage ich leise, aber da ist auch kein Oskar, ich bin mir sicher. Ich gehe trotzdem Raum für Raum ab, als könnte er sich irgendwo versteckt haben. So viel Platz, im Vergleich zu den typischen Moskauer Wohnungen. Auf meinem Anrufbeantworter einige Nachrichten. Die Mailboxen meiner Mobiltelefone habe ich stillgelegt, als ich nach Moskau geflogen bin. Meine Mutter, die gerne gewusst hätte, wie es mir geht. Eine alte Freundin, die mich zu einem Geburtstagsfest einladen wollte. Zwei Mal jemand von der Internen Revision der Bundespolizeidirektion, ein Dr. Gehringer. Mich nerven Menschen, die selbst am Telefon ihren Titel nennen. Trotzdem schreibe ich mir seine Telefonnummer auf. Auch auf dem Anrufbeantworter kein Oskar. Ich atme tief durch und wähle seine Nummer. Keiner geht dran. Gibt es das? Oskar hat sein Mobiltelefon immer bei sich. Zumindest fast immer. Ich werde wütend. Was glaubt er? Dass er auf Dauer den Beleidigten spielen kann, nur weil ich selbst entscheide, was ich zu tun habe? Ich wähle die Nummer seiner Kanzlei. Kanzleidrachen am Apparat. »Meinen Mann, bitte«, sage ich kurz.
»Dr. Kellerfreund ist beschäftigt«, antwortet sie mit so viel Genugtuung in der Stimme, dass ich ihr am liebsten den Hals umdrehen würde.
»Fragen Sie ihn bitte?«, fauche ich.
»Er hat gesagt, wenn Sie anrufen, sei er beschäftigt.«
Ich knalle den Hörer aufs Telefon. So ein Festnetzapparat hat Vorteile, ein Mobiltelefon kann man
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