Russen kommen
Warum sollte er seinen Zwillingsbruder durch eine komplizierte Intrige hinter Gitter bringen wollen? Und wenn er seinen Zwillingsbruder hätte umbringen lassen wollen, dann wäre das auch viel einfacher gegangen.«
»Er hat dich beeindruckt, dieser Milliardär. Genau um das zu erreichen, hat er mit dir gesprochen«, meint Droch.
Ich zucke mit den Schultern. »Vielleicht hat Wassili selbst nicht besonders viele Kontakte gehabt? Er wollte seinem Bruder nacheifern, also hat er sich einen von dessen ehemaligen Managern geholt. Und das mit Popp hat sich so ergeben, ein Schulfreund …«
Droch rollt Richtung Tür. »Ich fahre ins Innenministerium.«
»Ich komme mit.«
Droch schüttelt den Kopf. »Wenn überhaupt, dann haben wir nur eine Chance, wenn ich mit dem Innenminister unter vier Augen rede. Wobei er mir helfen soll, geht jedenfalls am Gesetz vorbei.«
Anruf. Oskars Kanzleinummer. Ich juble. Was ist wichtiger als das? Alles ist neu, alles Wunderbare liegt vor uns. »Oskar?«, singe ich ins Telefon.
»Dr. Kellerfreund hat gesagt, dass ich Sie kontaktieren soll«, sagt der Kanzleidrachen. Dunkle Wolken vor der Sonne. Hat es sich Oskar anders überlegt? Habe ich mir alles nur eingebildet? Will er nicht selbst mit mir reden?
»Ich höre«, sage ich.
»Er bittet Sie, in einer halben Stunde in seinem Büro zu sein. Falls Sie das einrichten können.«
»Kann ich nicht selbst mit ihm sprechen?«
Hüsteln am anderen Ende der Leitung. »Er hat zu tun. Er ist noch bei Gericht.«
Ich sitze schon auf der schwarzen Lederbank in Oskars Besprechungsecke, als er endlich hereinkommt. Ich springe auf, küsse ihn. Er sieht besorgt aus. Oder ist es etwas anderes?
»Dieser Anwalt, dieser Gustav Kronberger: Er ist verschwunden. Ich wollte das nicht am Telefon mit dir besprechen. Es sind gegen ihn schon seit mehr als einem Jahr Aufsichtsbeschwerden gelaufen. Er dürfte Mandanten übervorteilt haben, von Konkurrenten seiner Mandanten Provisionen bezogen haben. Es gibt auch den Verdacht, dass er an Geldwäscherei beteiligt war. Er stand kurz vor dem Ausschluss aus der Anwaltskammer. Einen Tag nachdem du über Dolochows Tod geschrieben hast, ist er verschwunden. Da hat ihn seine Kanzleikraft zum letzten Mal gesehen. Er hat alleine gelebt, sie wollte keine Anzeige erstatten, sie hatte wohl den Verdacht, er habe sich rechtzeitig vor einem Verfahren gegen ihn ins Ausland abgesetzt.«
»Das kann ja sein«, überlege ich.
»Ja, kann sein. Man wird seine Konten einsehen, dann weiß man vielleicht mehr. Kann freilich auch sein, dass er zu viel gewusst hat.«
»Dolochow hat einen Anwalt gesucht, der Dreck am Stecken hat«, überlege ich. »Die Frage ist bloß, wie er auf ihn gekommen ist.«
»Das war gar nicht so schwierig«, meint Oskar. »Entweder ein guter Kontakt zu einem Anwaltskammerfunktionär, der gerne plaudert, oder ein guter Kontakt zur Wirtschaftspolizei. Noch naheliegender ist, dass Dolochow auf ganz anderem Weg von Kronberger gehört hat: Die angebliche Geldwäscherei, mit der er zu tun gehabt haben soll, scheint zwischen Moskau, Wien und Salzburg gelaufen zu sein. – Wann willst du mit all dem zur Polizei?«
Ich sehe ihn bittend an. »Ich wollte schon zur Polizei, gleich nachdem ich aus Moskau zurück war. Dann habe ich erfahren, dass man Zuckerbrot suspendiert hat.«
»Ich habe die Geschichte gelesen.«
»Ich brauche nur noch ein, zwei Tage Zeit. Ich weiß nicht mehr, wem ich bei der Polizei trauen kann. Statt zu ermitteln, scheinen sie in Gruppen gegeneinander zu arbeiten.«
»Bis zum Redaktionsschluss«, sagt Oskar und lächelt etwas wehmütig. »Hab ich das schon einmal gehört?«
Ich umarme ihn fest. »Danke.«
Vesnas Büro ist noch immer ein dunkles, verrauchtes Loch. Sie streitet mit der Versicherung über die Sanierungskosten. Wie weit die polizeilichen Erhebungen sind, weiß sie nicht.
»Habe mich nicht darum gekümmert«, sagt sie bloß. »Interessant genug, dass Ermittler selbst nicht auf Zusammenhang mit Dolochow-Mord kommen. Zumindest haben sie nicht danach gefragt.«
Ich grinse. Die Verbindung von mir zu ihr scheint weit weniger offensichtlich zu sein, als wir glauben. Auch dieser Polizeijurist Gehringer hat sich bei Vesna noch nicht gemeldet. Er dürfte nicht geglaubt haben, dass der ›Direktinvest‹-Prospekt tatsächlich bei meiner Putzfrau ist. Oder soll er gar nicht genau überprüfen, ob die Vorwürfe gegen Zuckerbrot stimmen? Hat man Zuckerbrot vielleicht gar suspendiert, damit er sich
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