Russen kommen
ich brauche dich! Ich will mit dir sein! Mit dir leben! Verdammt …«
Und dann Oskars ruhige Stimme. »Ich werde das klären.«
»Und … wir?«
»Gib mir Zeit, Mira.«
Ich starre auf mein Handy. Gespräch beendet. »Gib mir Zeit.« Wie viel Zeit habe ich? Wofür? Das Telefon läutet, ich lasse es vor Schreck beinahe fallen, drücke die Empfangstaste.
»Ich liebe dich, komm heim, ich habe mir noch nie im Leben solche Sorgen gemacht. Verzeih mir«, sagt Oskar.
Das ist es, was ich hätte sagen sollen. Stattdessen habe ich über den blöden Fall geredet. »Ich liebe dich auch«, erwidere ich.
»Wo bist du?«, will Oskar wissen.
»In einem Tankstellencafé bei Linz. Ich komme, ich komm heim.« Jetzt juble ich.
Ich zahle, sehe mich um. Die Männer scheinen nicht einmal bemerkt zu haben, dass ich telefoniert habe.
Oskar macht Frühstück. Ich bin in seinen Armen eingeschlafen, in seinen Armen aufgewacht. Es ist, als wären wir uns gerade begegnet, als hätten wir uns erst gefunden. Dieses Staunen über das Miteinander. Es ist zehn. Viel geschlafen habe ich nicht. Ich fühle mich leicht. Müde oder wach? Was zählt das schon. Leicht.
Ich klettere aus dem Bett, tappe Richtung Dusche. Gismo läuft mir zwischen die Füße, bringt mich fast zu Fall. Hauptsache, sie ist da. Daheim.
Ich habe Oskar nicht bemerkt. Er umarmt mich von hinten. Großer, guter Oskar, der, auf den ich mich verlassen kann. Das warme Gefühl, von ihm gehalten zu werden.
»Ich muss gehen«, flüstert er in mein Ohr. »Ich hab einen Termin um halb elf. Und ich kläre das mit diesem Anwalt. Die Verträge sind ganz in Ordnung. Vorausgesetzt, man vertraut den Zeichnungsberechtigten von ›Direktinvest‹: Dolochow und Sachow. Ich habe dir Frühstück gemacht. Ich rufe dich an.« Er küsst mich auf die Schläfe. Ich nicke.
»Ich hab dich lieb«, sage ich.
Droch starrt aus dem Fenster seines Büros. Nieselregen, Wien grau in grau, mir kann das heute nichts anhaben.
»Wenn alles so ist, wie du sagst, dann müssen wir diese Sonja wirklich schnell herausholen. Ich werde mit dem Innenminister reden. Ich fahre einfach hin. Sie können mich schwer aus dem Büro werfen. Vielleicht gibt es einen Weg, von dem auch ich keine Ahnung habe.«
Ich lese die Mail von Karla noch einmal:
Liebe Mira und natürlich liebster Droch,
noch immer nichts von Sonja. Dafür habe ich über Sergej Popp einiges herausgefunden: Er ist mit den Dolochow-Brüdern zur Schule gegangen. Sie kennen ihn also beide. Danach hat er bei der Miliz angefangen und ist schließlich beim Geheimdienst gelandet. Das ist in Russland lange nicht so außergewöhnlich wie bei uns. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat er den Geheimdienst verlassen und eine eigene Sicherheitsfirma gegründet. Ob er zu dieser Zeit noch Kontakt zu den Dolochow-Brüdern hatte, weiß ich nicht. Jedenfalls hat er mit der Firma Schiffbruch erlitten, die Konkurrenz auf dem Sicherheitsmarkt ist in Russland sehr groß. Viele ehemalige Geheimdienstler unterwegs, nicht alle sind sehr geschickt, da könnte ich so einiges erzählen. Mache ich, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Mehr zum Lachen als zum Fürchten. Wie er dann schlussendlich bei Wassili Dolochow gelandet ist, weiß ich nicht. Dafür noch etwas Interessantes von Sachow: Er hat einige Jahre für Boris Dolochow gearbeitet, in der zweiten Managementebene. Er hat nicht bloß in Moskau Wirtschaft studiert, sondern auch ein Jahr in London. Warum er von Boris Dolochow weggegangen ist, ist nicht ganz klar. Offenbar hat es eine Auseinandersetzung gegeben. Meine Quelle hat auch etwas von Unterschlagung gehört, das kann allerdings auch bloß ein Gerücht sein. Mit dem Gericht scheint Sachow jedenfalls nie zu tun gehabt zu haben. Was die beiden russischen Banken angeht, auf die das »Direktinvest«-Geld geflossen sein soll, muss ich euch noch vertrösten, zu diesem Sektor hab ich wenig Kontakte. Wahrscheinlich ist es besser, das ganz offiziell über die Bankenaufsicht zu klären.
Ganz herzliche Grüße, lasst euch von der russischen Mafia nicht am Leben hindern, Karla.
PS : Wahrscheinlich komme ich nächsten Monat nach Wien.
»Und wenn Sachow und Popp in Wirklichkeit mit Boris Dolochow zusammengearbeitet haben?«, frage ich Droch.
Er dreht sich um und sieht mich an. »Dann hat er das Ganze eingefädelt, um seinen lästigen Zwillingsbruder zur Strecke zu bringen.«
Ich schüttle den Kopf. »Ich kann mir das nicht vorstellen. Dolochow ist ein kühler Geschäftsmann.
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