Russen kommen
ignorieren.
»Ich kann mir keine russischen Namen merken.«
»Dolochow?«
Zögern. »Könnte sein. Ich hab den ›Weinviertelboten‹ im Auto.«
»Ich komme.«
Oskars Mutter schätzt meinen Beruf nicht besonders und das Druckwerk, für das ich arbeite, noch weniger. Ich habe während des Abends noch nichts vom toten Russen erzählt, auch nicht Oskar. Seine Mutter war bereits da, als ich ins Restaurant gehetzt kam.
»Dolochow. Es gibt eine neue Wende im Fall«, sage ich daher bloß.
Oskar runzelt die Stirn. »Ich dachte, dein Chefredakteur hat die Russen-Geschichte abgelehnt?«
»Das war einmal. Dolochow ist tot.« Ich sage es, stehe gleichzeitig auf, lächle, mich entschuldigend. »Es war ein wunderschöner Abend, danke. Und das großartige Essen …«
Bevor noch jemand etwas sagen kann, küsse ich Oskars Mutter auf ihre erstaunlich glatte Wange, ich küsse Oskar kurz auf den Mund, verspreche, nicht zu spät daheim zu sein, und Oskars »Aber …« trifft nur noch meinen Rücken. Armer Oskar. Jetzt wird sie ihm sagen, dass er sich die Wahl einer Ehefrau doch hätte besser und länger überlegen sollen. Wenn es nach der Hofratswitwe gegangen wäre, wohl ein Leben lang. Für ihren Oskar ist keine gut genug, das sollte mich trösten. Ob es auch ihn tröstet? Ich nehme mir ein Taxi zur »Summerstage«.
Die »Summerstage« hat noch nicht geöffnet. Obwohl das Wetter für Anfang Mai angenehm warm ist, lädt es noch nicht dazu ein, am Abend am Donaukanal zu sitzen. Eva wartet im neuen Weinlokal der Szenemeile, es ist zumindest teilweise überdacht. Vor ihr liegt der »Weinviertelbote«.
Wir tauschen die üblichen Küsse aus, auf dem Tisch steht eine fast volle Flasche von einem sehr guten Wiener Weinproduzenten.
»Damit ich auch weiß, was die anderen so machen«, sagt sie. Ich setze mich und schiele neugierig auf die Zeitung.
Eva schenkt uns ein und meint, Weinliefern sei manchmal schon recht anstrengend. Allein, wie viel man dabei reden müsse. »Es ist übrigens wirklich Dolochow«, sagt sie dann unvermittelt.
Ich nehme die Zeitung und lese. »Ein Glas mit Wodka stand auf dem Grab«, lautet die Schlagzeile. Darunter: »Jetzt investieren die Russen im Weinviertel!« Foto: Dolochow, der einem lächelnden Mann die Hand schüttelt, es ist der Bürgermeister, lese ich.
Im Artikel ist von großen Investitionen dann keine Rede. Dolochows Großvater sei in einem der letzten Kämpfe im Jahr 1945 gefallen, jetzt wolle er ihm eine Kapelle bauen lassen. Und der Bürgermeister betont, dass das kein »protziges orthodoxes Mausoleum« werden solle, sondern ein schlichtes, der katholischen Kapelle angepasstes Bauwerk. Und den Grund dafür hat Dolochow nun gekauft. Achthundert Quadratmeter, »zum ortsüblichen Preis«, wie angemerkt wird. In der Gegend an der ehemaligen toten Grenze keinesfalls eine enorme Ausgabe. Der Großteil des Artikels und des daneben stehenden Kommentars widmet sich allerdings dem schönen Gedanken, dass auch Russen »menschlich« seien, und, anders als nach dem Krieg, wo man sie gefürchtet habe, freue man sich jetzt, wenn sie kommen. Der Bürgermeister betont noch, dass ihn der »Familiensinn« des reichen Russen ebenso »positiv überrascht« habe wie sein hervorragendes Deutsch. Und was es mit dem nahezu poetischen Titel der Geschichte auf sich hat, lese ich weiter hinten: Dolochow habe das Grab seines Großvaters besucht und nach alter russischer Sitte ein halb volles Glas Wodka dort stehen lassen.
Ich schaffe es nicht so rasch, im Kopf eine Verbindung zwischen der Weinviertler Russen-Geschichte und dem gefolterten Toten herzustellen, will es vielleicht auch gar nicht. Ich grinse und sage: »Stell dir vor, das wird Mode: Jeder stellt ein halb volles Schnapsglas aufs Grab seiner Lieben.«
»Ich kenne einige, denen wär das sehr recht«, erwidert Eva.
»Oskars Mutter sicher nicht«, murmle ich und denke dann erschrocken, dass die ja noch lebt. Und ob. Soll sie auch.
Ganz am Ende des Berichts steht dann auch noch etwas von den beiden Russen, die auf der Brünner Straße ums Leben gekommen sind. »Wie aus gut informierten Kreisen verlautet, hat der russische Präsident seinen Jet geschickt und die beiden Särge noch in der Nacht nach Moskau bringen lassen.« Bald wird das Gerücht gehen, der Präsident sei persönlich mit dem Hubschrauber auf dem Krankenhausdach gelandet und habe mit der Hilfe einer russischen Spezialtruppe die noch warmen Leichen evakuiert.
»Warum interessiert dich dieser
Weitere Kostenlose Bücher