Russen kommen
Dolochow so?«, fragt Eva.
Ich seufze. »Er ist ermordet worden. In Wien. Behalte es bitte für dich.«
Die Weinbäuerin reißt die Augen auf. »Das kann aber nichts mit der Kapelle zu tun haben.«
Ich überlege. 1945. Die Russen. Viele Österreicher haben sie als Feinde gesehen. Und es gab genug Russen, die sich als Eroberer gebärdet haben. Vergewaltigungen. Tote. Diebstähle. Kann sein, dass so etwas auch über Jahrzehnte hinweg nicht zu vergessen ist. Aber ist es wahrscheinlich, dass sich jemand jetzt, im einundzwanzigsten Jahrhundert, dafür am Oligarchen Dolochow rächt? Sein Großvater ist gefallen. Aber wer weiß, was er zuvor verbrochen hat? Oder es geht gar nicht um einen bestimmten Russen, sondern um »den Russen« schlechthin. Und wenn dann einer kommt, der so reich ist … Vielleicht haben damals die Russen gefoltert, jetzt wurde stellvertretend Dolochow gefoltert. Ich schüttle mich. Russenmafia, Geheimdienst, das klingt für mich melodramatisch, beides liegt trotzdem näher als jahrzehntelang aufgeschobene Rache. Aber ist es nicht gerade so, dass man über den großen Verschwörungen und Verschwörungstheorien das Kleine, die persönlichen Verletzungen, die individuellen Mordmotive nie vergessen sollte?
Jedenfalls: 1945 ist Dolochows Großvater als Befreier, als Eroberer bei uns einmarschiert und hat es nicht überlebt. Jetzt, mehr als sechzig Jahre später, kommt Dolochow als Investor und überlebt es auch nicht.
Eva drängt mich, ihr mehr über den Tod des Russen zu erzählen. Ich wehre ab. Man habe ihn heute gefunden, sage ich kurz, ich würde ihr alles berichten, wenn ich mehr wisse.
»Im Radio hab ich davon noch nichts gehört.«
»Sie wollen, dass es nicht öffentlich wird.«
Jetzt hat sie kreisrunde Augen. »Der russische Geheimdienst?«
Ich zucke mit den Schultern und denke. Ja, wohl auch der. Keine Ahnung, wie die Behörden zusammenarbeiten. Aber wenn ein enger Vertrauter des Präsidenten und wichtiger Geschäftsmann ermordet wird, dann dürfte sich Zuckerbrot in den nächsten Wochen auch mit dem russischen Geheimdienst herumzuschlagen haben. Was das für mich bedeutet? Ich starre hinunter zum Donaukanal, fast schwarz ist das Wasser, träge fließt es an den Lichtern am Fußweg vorbei, weiter, weiter. Für mich heißt das wohl, ich sollte die Finger von diesem Fall lassen.
Als ich heimkomme, ist Oskar an meinem Esstisch eingeschlafen. Er hat ein Glas Whiskey vor sich, dabei trinkt er üblicherweise kaum etwas Hartes. Ich bin die, die irischen Whiskey liebt. Ich nehme einen kräftigen Schluck und rüttle dann zart an seiner Schulter. Oskar fährt hoch.
»Sorry«, sage ich und lächle, um Verzeihung heischend. »Es hat doch etwas länger gedauert. Dolochow wollte im Weinviertel eine Kapelle bauen lassen. Dort ist sein Großvater 1945 gefallen. Und ich war dabei, als wir ihn heute gefunden haben. Auf einer Dachterrasse am Graben. Nicht schön. Schon ein paar Tage tot, nehme ich an. Die Haut voller Brandlöcher.«
Ich erzähle, Oskar hört mir zu, zwei »Whiskey« später weiß er alles, was ich auch weiß. Und ich erfahre, dass seine Mutter von meinem raschen Aufbruch nicht eben erbaut war.«
»So hat sie dich wenigstens für sich allein gehabt«, erwidere ich, »das ist ihr doch ohnehin am liebsten.«
Ich ahne, was als Nächstes kommt, daher verdrücke ich mich ganz schnell ins Bett. Als Oskar in mein Ohr flüstert, dass er mich auch die nächsten fünfzig Jahre noch gerne um sich haben möchte und dass ich mich daher bitte, bitte nicht um den toten Oligarchen kümmern solle, gebe ich vor zu schlafen.
Am nächsten Morgen fahre ich mit meinem neuen Auto aufs Land, nicht weit an Evas Ort Treberndorf vorbei, die Brünner Straße entlang. Dort vorbei, wo der Russe und sein Fahrer gestorben sind. Man erkennt die Stelle gut, eine riesige Eiche am Waldrand, vom Stamm fehlt ein großes Stück, wie von einem gewaltigen Borkenkäfer herausgefressen. Außerdem ist rund um den Baum ein polizeiliches Absperrband. Weiter nach Norden. Ich gebe zu, ich genieße die Fahrt mit meinem Allrad-Honda, den ich mir vor einigen Monaten geleistet habe, viel Platz und die Freiheit, jederzeit auch abseits der Straße weiterzukommen. Auch wenn mich der Verkäufer vor der einen oder anderen Illusion in dieser Hinsicht gewarnt hat. Auch wenn ich eigentlich, von einigen Feldwegen abgesehen, bisher nie offroad unterwegs gewesen bin. Die beiden Russen hatten einen starken Allrad- BMW . Dem Reh war er trotzdem
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