Russen kommen
wär’s, die täten die Russen bei uns ausgraben und daheim wieder eingraben«, erwidert ihre Nachbarin.
»Warum?«, frage ich.
»Dann wären sie endlich weg von da.«
»Aber … der Russe hat jede Menge Geld, ist das nicht auch eine Chance?«, frage ich.
»Wir brauchen dem sein Geld nicht. Ist eh nur gestohlen.«
Die mit der roten Jacke fällt ihr ins Wort: »Sei nicht so, Teubnerin. Tat gar nicht schaden, wenn der bei uns sein Geld ausgibt. Und immerhin ist sein Opa da gefallen im Krieg. Zumindest ab dann hat er nichts mehr anstellen können.«
»Aber andere«, erwidert die Teubnerin. »Und jetzt kommen die Russen schon wieder, nur jetzt wollen sie uns kaufen. Ist eben die moderne Art, da wird alles gekauft.«
Die in der roten Jacke sieht mich an. »Es war damals nicht so leicht nach dem Krieg. Den Krieg selbst haben wir ja nur als kleine Kinder erlebt, aber es hat viele Geschichten gegeben über das, was die Russen angestellt haben. In jeder Familie gibt es eine Frau, die … na, die sie genommen haben.«
»Und diese Geschichten – sie sind alle wahr?«, frage ich vorsichtig.
»Natürlich!«, ruft die Teubnerin empört.
»Oft wird mit den Jahren schon immer mehr und mehr aus etwas gemacht«, erklärt die in der roten Jacke, »aber im Prinzip stimmen die Geschichten schon. Noch dazu, wo sich damals ja eine jede geniert hat zu erzählen, was ihr passiert ist. Und einen Onkel von mir, den haben sie umgebracht.«
»Warum?« Ich denke bei mir, er wird ein alter Nazi gewesen sein, aber sage es lieber nicht.
»Er hat seine Schweine nicht hergeben wollen, die er über den Krieg gerettet hatte. Trotzdem, wir pflegen auch die Russengräber, das macht bei uns der Kameradschaftsbund.«
»Im Krieg waren sie Feinde«, sage ich und nehme noch einen Bissen.
»Man kann es vergeben, aber nicht vergessen«, doziert die Teubnerin in aufgesetztem Hochdeutsch. »Was wollen S’ von dem Russen?«, schwenkt sie wieder auf die übliche Umgangssprache um.
»Ich hab von ihm im ›Weinviertelboten‹ gelesen.«
Jetzt mischen sich auch die jüngeren Frauen vom anderen Tisch ein.
»Der soll sehr nett sein, der Russe, richtig zivilisiert. Er kann sogar Deutsch. Meine Schwester arbeitet auf der Gemeinde, die hat ihn gesehen.«
»Also kein Problem, wenn er etwas Geld dalässt?«, frage ich in ihre Richtung.
Die Frauen lachen. »Aber wirklich nicht, man sollte diese alten Geschichten endlich vergessen, das gilt auch für dich, Teubner-Mutter.«
Die Teubnerin erwidert das Übliche: »Was wisst’s denn ihr schon davon? Seid’s doch viel zu jung dazu.« Und sie fügt an: »Der Russe, der soll lieber wieder heimfahren und seine Verwandten gleich mitnehmen. Damit wir Ruhe haben.«
Wenn sie wüsste …
Ich lasse mir im Verkaufsraum noch zwei Kipferln einpacken. »Sie sind großartig. Warm, frisch gebacken, das ist schon was anderes als bei uns in Wien«, lächle ich.
Die füllige Verkäuferin nickt eifrig. »Das sag ich auch immer, man muss sie nur dreißig Sekunden in die Mikro geben, dann schmecken sie gleich ganz anders!«
Ich mache den Mund auf, mache ihn wieder zu. Ländliche Illusion, reingefallen. Jetzt erst sehe ich genauer hin: Die Bäckerei bezieht ihre Waren von einer der großen Bäckereiketten, die wir auch in der Hauptstadt haben. Und wenn schon. Geschmeckt haben die Kipferln hervorragend, und das mit der Mikrowelle merke ich mir.
Der Artikel im »Weinviertelboten« war mit »urfa« signiert. Es ist nicht schwierig, herauszufinden, wer dahintersteckt. Ein kurzer Anruf genügt. Fabian Urbanek, im Hauptberuf Gemeindesekretär, Traumberuf: Journalist. Seine Gemeinde liegt nur zehn Minuten vom Ort mit den Russengräbern entfernt, er freut sich hörbar, dass ich mich mit ihm treffen will. In so einem Fall könne er sich schon einige Zeit »frei machen« von der Gemeindestube, meint er.
Und jetzt komme ich auch zu meinem kleinen Gulasch. Wir sitzen in der Gaststube, außer uns ist niemand hier. Wie er vom Besuch Dolochows erfahren habe, frage ich Urbanek.
Er streicht über seinen kleinen braunen Schnurrbart – dass man sich heute noch so etwas wachsen lässt, dabei ist er sicher keine vierzig – und gönnt sich einige Sekunden Zeit, bevor er antwortet: »Eigentlich war es keine große Sache«, sagt er und schnauft etwas, so als sei er enttäuscht darüber. »Meinem Onkel gehört das Grundstück, auf dem die Kapelle gebaut werden soll. Ich hab ihm die Mischmaschine zurückgebracht, und da hat er vom Russen
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