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Russen kommen

Russen kommen

Titel: Russen kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Rossmann
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auf den Chefredakteur, der kreideweiß am Geländer lehnt. Ich gehe zurück auf die Terrasse, bewege mich langsam auf ihn zu, lege ihm die Hand auf die Schulter. »Kommen Sie mit, hier draußen ist es nicht auszuhalten.«
    Wie in Trance folgt er mir, ich habe Angst, dass er umkippt. Gerda deutet auf den Zettel, sie hat ihn auf den Tisch gelegt. »Können Sie Russisch?«, fragt sie, als ginge es hier um Small Talk. Sie ist eindeutig die Coolste von uns. Der Chefredakteur starrt auf den Zettel mit den ungelenk geschriebenen fremdartigen Buchstaben.
    »Ein paar Worte, mehr nicht.« Er versucht sich sichtlich zu konzentrieren. »Den Teil zuerst verstehe ich nicht, der zweite bedeutet wohl: ›Grüße aus Moskau.‹«
    Mir kommt eine Idee: Was, wenn Dolochow am Arlberg gar nicht vor dem Bauunternehmer Sorger geflohen ist? Und schon gar nicht aus Scheu vor einem gemeinsamen Foto? Was, wenn er durchs Fenster jemand anderen gesehen hat? Das »Zirben« liegt einsam, dort geht keiner einfach so vorbei. Aber vielleicht ist, unbemerkt im Lärm des Hubschraubers, ein Auto gekommen. Oder es saß noch jemand im Hubschrauber. Russenmafia. Irgendjemand wollte nicht, dass Dolochow weiter Geschäfte macht. Oder er ist beim russischen Präsidenten in Ungnade gefallen, und bevor er Unliebsames erzählen konnte, hat ihn der Geheimdienst … Aber hätte es da ein Kopfschuss nicht auch getan? Verrenne dich nicht schon wieder, Mira. Weniger Fantasie. Mehr Fakten. Aber eines ist klar: Das hier war kein Unfall. Wer bindet jemanden an einen Liegestuhl und lässt ihn – womöglich tagelang – liegen? Jemand, der etwas von ihm erfahren will. Ich höre, wie es an der Tür läutet. Ich laufe noch einmal hinaus zum Toten. Die schwarzen Flecken auf den nackten gefesselten Armen. Brandlöcher. Lauter kleine Brandlöcher. Man hat ihn gefoltert. Als abschreckendes Beispiel? Aus Lust an der Quälerei? Um ihn zum Reden zu bringen? Ich höre, wie die Ermittler näher kommen, drehe mich um, diesmal ehrlich froh, gleich Zuckerbrot zu sehen. Aber er ist nicht da.
    »Hofmann. Dezernat für Gewaltverbrechen«, stellt sich der Kriminalbeamte vor.
    »Mira Valensky«, erwidere ich, hinter mir der gefolterte Tote.
    »Ich weiß«, sagt er.
    Der Trupp der Spurensicherung beginnt mit seiner Arbeit. Hofmann wirft dem Chefredakteur vor, nicht sofort die Polizei verständigt zu haben.
    Ich mische mich ein. »Wir sind davon ausgegangen, dass die Putzfrau es getan hat. Als wir hier ankamen und gesehen haben, dass das nicht so ist, habe ich sofort Zuckerbrot angerufen.« Die paar Minuten, die wir uns zuerst umgesehen haben, kann keiner bemerken.
    Zwei weitere Ermittler kommen. Einer beginnt, mit uns ein Protokoll aufzunehmen. Name, Alter, polizeiliche Meldeadresse. Plötzlich werde ich wütend. »Wo sind wir hier? Es geht nicht darum, wie alt oder wie groß ich bin! Auf der Terrasse liegt ein Toter, einer der gefoltert wurde! Und wir waren es nicht!«
    Hofmann kommt herüber und sieht mich spöttisch an. »Das können Sie ja zu Protokoll geben.«
    Seltsamerweise fragt mich keiner, woher ich den Toten kenne. Offenbar gehen sie davon aus, dass man Dolochow als Journalistin einfach kennt. Also erzähle ich ihnen auch nichts vom Arlberg und von Dolochows Flucht. Es dauert mehr als eine Stunde, bis die Protokolle fertig sind. Gerade als Gerda ihren Zettel unterschreibt, läutet es wieder an der Tür. Die Männer mit dem Zinksarg sind da. Der große Dolochow. Wo war sein Leibwächter? Falls es ein Leibwächter war, den ich im »Zirben« neben ihm gesehen habe. Haben Leute wie er nicht einen eigenen, privaten Sicherheitsdienst? Weshalb hat ihn keiner beschützt?
    Hofmann nimmt mich zur Seite. »Ihnen ist hoffentlich klar, dass Sie über den Fall nichts veröffentlichen dürfen.«
    Ich sehe ihn so ruhig wie möglich an. »Warum?«
    »Er wird weite Kreise ziehen.«
    »Hier gibt es Pressefreiheit.«
    »Wir müssen das Fotomaterial beschlagnahmen. Es ist Beweismaterial. Dient der Spurensicherung.«
    »Dazu haben Sie kein Recht.«
    Der Chefredakteur und Gerda sind näher gekommen.
    »Ich protestiere …«, beginnt der Chefredakteur tapfer. Seine Gesichtsfarbe ist annähernd wieder normal.
    Gerda schüttelt bloß den Kopf. »Das Material ist mein Eigentum. Sie brauchen einen Beschlagnahmebescheid.«
    »Schon mal was von unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gehört?«, sagt Hofmann in meine Richtung.
    »Dann gebe ich sie ihm eben«, sagt Gerda, ebenfalls zu mir.
    Warum lenkt sie so

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