Russen kommen
gespannt.
»Mira? Wo steckst du?«
Nicht Sorger, sondern Oskar. Ich räuspere mich. »Ich muss zurück zum Arlberg. Ich kann jetzt nicht reden.«
»Du solltest seit einer Viertelstunde im ›Steirereck‹ sein. Wir sind mit meiner Mutter verabredet. Sie hat uns eingeladen. Hast du das vergessen? Du kannst heute nirgendwohin. Sie will mit uns ihre Vermögensangelegenheiten klären. Es wäre ein fürchterlicher Affront, wenn du …«
Ich seufze und schaue auf die Seite der ÖBB . Der Zug fährt ohnehin in zehn Minuten ab. Und die Nacht mit dem Auto durchzufahren, das ist mir zu viel. »Ich bin gleich da«, sage ich.
»Was ist los?« Oskar kennt mich und klingt alarmiert.
[ 3 ]
Z ur Klärung ihrer »Vermögensangelegenheiten«, wie Oskars Mutter das nennt, ist nur das beste Ambiente gut genug. »Steirereck«, Wiens Vorzeigerestaurant von internationalem Zuschnitt. Ich war bisher nur einmal hier, und da in der Milchbar, dem Teil, in dem keine Schwellenängste gegenüber der Luxusgastronomie aufkommen sollen.
Schwellenängste habe ich aber ohnehin nicht und bald auch keine Angst mehr, dass Oskars Mutter die Rechnung nicht bezahlen kann. Sie hat im Lauf ihres Lebens einiges an Vermögen angehäuft, stellt sich heraus. Ihr lange verstorbener Mann hat als Hofrat gut, wenn auch nicht sensationell verdient, die Pension ist stattlich, auch wenn sie niemanden reich macht. Aber Oskars Mutter hat von einer »lieben Tante«, wie sie sie nennt, geerbt, und: zu unser beider Überraschung spekuliert sie an der Börse. Mit Erfolg.
»Ich habe da einen sehr netten jungen Mann in der Bank, der hat mir alles erklärt und ist mir behilflich«, erzählt die Hofratswitwe. »Aber die Entscheidungen, was wir kaufen und verkaufen, die treffe ich.«
Oskar grinst mich an, man sollte Hofratswitwen nicht unterschätzen, deute ich seinen Gesichtsausdruck. Ich nicke.
Nun will sie Oskar alles an »fest gebundenem Vermögen« überschreiben, lediglich ihr Aktienkapital will sie weiter selbst verwalten und vermehren. »Meine Pension reicht für ein ordentliches Leben«, fährt sie fort und sieht mich an.
Ich nicke. Kann sein, dass wir unter »ordentlichem Leben« in vielerlei Hinsicht Unterschiedliches verstehen. Aber die Hofratswitwenpension würde auch mir zum Leben reichen. Ich frage mich nur, was ich bei dem Treffen soll. Das ist eine Angelegenheit zwischen Oskar und seiner Mutter. Ich sollte mich mit dem Tod Dolochows beschäftigen. Meine Gedanken driften von einem Wertpapierpaket weg zu Sorgers Begleitern am Arlberg. Vielleicht waren es die beiden Amerikaner, vor denen Dolochow geflohen ist. Seine späteren Mörder. Russen und Amerikaner. KGB und CIA . SMERT und James Bond und der Geheimdienst Ihrer Majestät. Ich habe vor Jahren jemand vom amerikanischen Geheimdienst kennengelernt. Er war in Wien stationiert, einer seiner engsten Freunde war ein hochrangiger österreichischer Kommunist. Und das zur Zeit des Kalten Krieges. Inzwischen hat der Geheimdienstler längst seinen Abschied genommen. Nach dem Zusammenbruch der U d SSR hat er in Russland Sicherheitskonzepte verkauft. Der Wiener Kommunist hingegen hat Essen und Trinken zu sehr geliebt und ist nicht alt geworden.
»Findest du das nicht auch, liebe Mira?«, fragt meine Schwiegermutter. Ich nicke. Das ist am ungefährlichsten.
Mein Telefon vibriert. Ich habe den Ton pflichtschuldig am Eingang des Restaurants ausgeschaltet. Ich sehe auf das Display. Eva. Ich beuge mich halb unter den Tisch, tarnen, wenn schon nicht täuschen, ist das Motto, und flüstere: »Ja?«
»Du klingst, als würdest du in einem Fass sitzen. Ich bin in Wien Wein liefern, hast du Lust auf einen Drink? Ich bin bei meiner letzten Station.«
Und ob ich Lust hätte. Wir haben schon gegessen. Es war vorzüglich. Vor uns stehen halb volle Weingläser. Und die Geschäftsgebarung von Oskars Mutter hat mich zwar wirklich überrascht, ist mir andererseits aber auch ziemlich egal. »Familientreffen im ›Steirereck‹«, flüstere ich und füge rasch hinzu: »Ist aber schon fast vorbei.«
»Für deine Russen-Geschichte hab ich übrigens auch etwas: Da ist noch ein Russe unterwegs im Weinviertel, er soll ein richtiger Oligarch sein. Sein Großvater ist bei uns im Zweiten Weltkrieg gefallen, er will ihm eine Kapelle bauen lassen. Das ist zumindest im heutigen ›Weinviertelboten‹ gestanden.«
»Wie heißt der Oligarch?«, flüstere ich und versuche die beiden strafenden Augenpaare links und rechts über mir zu
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